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Erzählungen und Aphorismen |
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Lichterscheinung
Dünne, krumm gewachsene Baumstämme, auf Stümpfe genagelt, die an Hackklötze erinnern: Geländer um den Weiher, der verschlammt ist, vorne von Schilf zugewuchert – es schiebt sich wie eine Landzunge hinein, als wollte es den Morast zurück erobern, diesen von brackigem Wasser erstickten Lebensraum, in dem nichts mehr zu atmen scheint, eine tote Brühe, schwarz, ölig.
So stelle ich mir das Gewässer des Styx vor, in den Charon, ein furchterregender Riese, den Zedernstamm hineintaucht und seinen Kahn vorwärts stakt, direkt auf mich zu, um mich hinüber zu setzen, auf die andere Seite. In Gedanken befinde ich mich schon längst dort, todessüchtig. Dazu paßt das schäbige Waldstück im Hintergrund: tote Kulisse abgestorbener, niedergebrochener Stämme, als wäre ein Sturm wie mit Hieben hineingefahren und hätte dort seinen Zorn über einen Frevel ausgetobt, der nicht wieder gut zu machen ist und sich offenbart im Tosen von der Autobahn her, die sich brutal durch die Landschaft schneidet, sie verpestet, mit Lärm überflutet, alles erstickt.
Die Kronen selbst der stolzesten Bäume scheinen verätzt, verdorrt, zusammengekracht zu sein unter einer Gewalt, die alles vernichtet, verbrannte Erde hinterläßt. Nicht nur einzelne Wälder sterben – es ist ein Angriff auf die gesamte Natur, ein globales Abmurksen, heimtückisch langsam, anfangs kaum zu bemerken: erst scheinbar harmlose Spuren, angekränkelte Blätter, die sich dann als die Boten eines ausgebrochenen Karzinoms erweisen.
Die Bäume rings um den Weiher sind von schwärender Fäulnis befallen. Ich umrunde ihn, einbetoniert in dem allgegenwärtigen Autobahnlärm, der wie das Rauschen eines Wasserfalls niemals verstummt – da müßte sich schon eine Katastrophe noch größeren Ausmaßes ereignen, die alles mit einem Schlag auslöscht, die ganze Menschheit: Ursache für diese grassierende Krankheit, die nicht nur das Äußere mit schwärzlich verätzendem Brand überzieht, auch das Innere hirnverbrannter Schädel, Brutstätte des Wahnsinns, krankhafter Vorstellungen, mit verheerender Auswirkung auch auf die Gefühlswelt, von Neurosen zerfressen, gleichsam ein geistiges Krebsgeschwür.
Käme doch Charon wirklich herbei, stakend mit seinem vom Aussterben bedrohten Baum: der Zeder, die bald nur noch in der Mythologie existiert, und ich schaue ins pechschwarze Wasser – ein riesiger Goldfisch taucht daraus auf, strahlend in seinem düsteren Element, lichtreflektierend, verschwindet dann wieder ebenso plötzlich, und nur das Kräuseln des Wasserspiegels weist noch darauf hin, daß es keine Einbildung war.
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