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Durchgedreht

Zwei Beamte, ein breitschultriger Mann und eine schmale Frau, beide in brauner Hose, schwarzer Lederjacke mit dem weißen Schriftzeichen POLIZEI auf dem Rücken, weißer flacher Mütze mit schwarzem Schirm und mit einem schlenkernden Revolver an der rechten Hüfte, gehen in langen Schritten auf zwei jugendliche Gestalten zu, der eine in weißer, der andere in schwarzer Hose, beide in aufgeblähten schwarzen Windjacken, und die jungen Männer blicken, die Hände in den Hosentaschen und gegen die Rückfront des gläsernen Wartehäuschens einer Bushaltestelle gelehnt, den Herbeikommenden lässig entgegen.

     Sagt mal, was macht ihr hier eigentlich, spricht der Polizist die Burschen an, von denen der in schwarzer Hose reflexartig die Hände aus den Taschen zieht und nervös von einem Bein aufs andere tritt, während der in weißer Hose lediglich den Rücken durchdrückt und gleichgültig die Schultern zuckt.

     Wir passen auf die Bushaltestelle auf, erwidert der in schwarzer Hose und kämpft mit einem Grinsen.

     Ist ein Gag, oder? fragt der Beamte seine Kollegin, die bestätigt: Ist wirklich ein Gag. Sie geht zwei Schritte zurück, stellt sich mit leicht gespreizten Beinen in Positur, und ihre Rechte schwebt über dem Revolver.

     Wir haben gehört, daß hier zwei Typen in der Öffentlichkeit rumpöbeln und auf den Boden spucken, sagt der Beamte, während der Typ in weißer Hose, der auch eine Baseballkappe aufhat, gerade auf den Boden spuckt, und der Beamte fährt ihn an: Hörst du damit mal auf, oder was? Die Beamtin löst sich aus ihrer angespannten Haltung, kommt nach vorn, lehnt sich mit dem rechten Unterarm gegen den Pfosten, kreuzt ein Bein über das andere, und ihr Kollege rückt zurückweichend an ihre Seite, während der jugendliche Typ in schwarzer Hose und schwarzer Wollmütze nuschelt: Wir machen doch nichts. Die Polizistin zieht ihr über Kreuz geschlagenes Bein zurück und scharrt mit der Sohle über den Asphalt, ehe sie ruft: Paß mal auf, ich hab doch gerade gesehen, daß ihr auf den Boden gerotzt habt und...

     Ey, du Schlampe, zeig mal deine Titten! brüllt der Typ mit schwarzer Wollmütze hinter einer attraktiven Frau her, die mit Einkaufstasche über den Platz geht.

     Sag mal, das ist ja jetzt, sagt die Polizistin fassungslos und sucht nach den richtigen Worten: Das ist ja, das ist ja die Höhe... Sie wendet sich ab, geht, mit Händen in den Hosentaschen, einige Schritte auf die Fahrbahn zu, als ringe sie um Haltung, dreht sich dann wutentbrannt auf dem Absatz um und legt los: Da platzt mir verdammt noch mal der Kragen! Sie kommt fuchtelnd zurück, während die Jugendlichen zurückfahren und der Beamte seine Kollegin erstaunt von der Seite her ansieht.

     Die Polizistin ist jetzt nicht mehr zu bremsen. Das darf ja wohl nicht wahr sein! ruft sie und klatscht mit dem Rücken der einen Hand in die Fläche der anderen und ballt sie zu einer Faust. Hier steht die Polizei vor euch, und ihr kleinen asozialen Wichser kackt die Frau da hinten an oder was... Sie reißt sich ihre Dienstmütze vom Kopf und schmeißt sie vor sich auf den Boden: Ich glaub, es hakt jetzt!

     Sie reckt das Kinn vor, wirft ihren blonden Pferdeschwanz peitschend durch die Luft, neigt sich angriffslustig vor, und die Angeschrienen erstarren. Die Frau marschiert jetzt vor den beiden auf und ab, faßt sich an die Stirn und schreit weiter: Laßt mal ein bißchen Sauerstoff an euern Kopf, ey, an euer Scheißgehirn! Sie reißt dem in weißer Hose die Baseballkappe vom kurzrasierten Schädel, geht dann zu dem anderen, zerrt ihm die Wollmütze vom Kopf, und während er noch überrascht dasteht, hat sich sein Kumpel bereits vom ersten Schreck erholt und beginnt wieder zu grinsen.

Nehmt Haltung an, wenn ich mit euch rede! herrscht die Frau sie an: Und hör auf zu grinsen, ja, und nimm die Hände verdammt noch mal aus den Taschen! Die Burschen machen es prompt, ohne aber mit dem Feixen aufzuhören, während der in schwarzer Hose die Hände gehorsam über dem Gürtel zusammenlegt und scheinheilig strammsteht.

     Wie alt bist du eigentlich? fragt die Polizistin etwas entspannter: Schon mal was von Respekt gehört? Der Typ schmunzelt und schiebt die Hände wieder in die Seitentaschen seiner Windjacke, womit er andeutet, daß sie ihm keine Angst einjagt.

Haltet ja den Rand! ruft sie mit spitz in ihre Richtung stechendem Zeigefinger: Sonst gibt’s so was von tierisch auf den Stinker, und sie schleudert ihre Hand in einer kreisenden Bewegung durch die Luft.

     Schön, also ehrlich, fährt sie fort, läßt die Jugendlichen stehen und wendet sich an ihren sich im Hintergrund haltenden Kollegen, der ebenfalls die Hände in seinen Jackentaschen hat und lächelt. Er wendet das Gesicht von seiner Kollegin ab, die ihn jetzt am Revers packt, mit der anderen Hand gegen seine Brust trommelt, wie um sich Rückendeckung bei ihm zu holen.

Echt ey, ich krieg da so nen Hals! ruft sie, während der Beamte begütigend nickt und sich losmacht. Sie geht einige Schritte in Richtung Straßenrand, leicht gebeugt und aus dem Gleichgewicht gebracht, reißt sich dann herum, spreizt die Handflächen neben ihren Hüften und schreit: Ich hab die Schnauze so voll von dem Scheißjob! Der Beamte guckt auf seine Schuhspitzen, bückt sich plötzlich und hebt ihre weiße, fleckig gewordene Dienstmütze auf.

     Ich laß mich als erwachsene Frau von so Möchtegerns doch nicht anpöbeln! ruft sie und geht wieder wie eine Furie auf sie los. Sie schwingt die Fäuste, und der Junge in weißer Hose reißt die Arme hoch. Ihr Kollege versucht ihr von hinten die Mütze auf den Kopf zu setzen, aber sie wischt sie wieder herunter, wirbelt zu ihm herum und fährt ihn an: Ich will diese Scheißmütze jetzt nicht aufsetzen, verdammt noch mal, Andi.

     Andi, der Beamte, weicht beschwichtigend zurück und läßt ein langgezogenes Jaaa! heraus. Er bückt sich erneut nach der Mütze seiner Kollegin, die ihm nachsetzt und ruft: Hör mir zu...

Ist okay, ich heb sie nur auf, unterbricht er sie, hält sie am Schirm steil nach oben und stemmt die andere Hand in die Hüfte, wie um sich selbst zu stützen.

     Hör mir zu, und dann unterstütz mich, verdammt noch mal! ruft sie und schießt mit dem Zeigefinger in seine Richtung und wendet sich abrupt den hohnlachenden Jugendlichen wieder zu. Ist doch wahr! herrscht sie sie an und mimt plötzlich den Macker, indem sie mit öliger Stimme Ey, du Schlampe! ruft, fällt dann aber in ihre Rolle als Frau zurück, drückt Daumen und Zeigefinger zusammen und ruft: Weißte, bestimmt nur so nen Pimmel in der Buxe.

     Heike, sagt ihr Kollege und reißt eine Hand erst salutierend an den Schirm seiner Mütze, dann auf den Rücken, wo er ihre Mütze nun versteckt hält und sich mit allen Fingern an ihr festhält. Die Frau fährt zu ihm herum und ruft gestikulierend: Die beiden haben doch noch nicht mal gefickt, ey! Sie dreht sich wieder zu den beiden um, die sich Käppi und Mütze überstreifen, am Kopf kratzen und in sich hineinkichern.

Wurdet ihr eigentlich schon mal so richtig durchgebumst? fragt sie und bewegt bei dem letzten Wort, das sie auseinandergehackt herausläßt, ihre Lenden vor und zurück: Anscheinend nicht, sonst würdet ihr nicht in der Scheißkälte rumstehen und irgendwelchen Frauen solchen Scheiß hinterher rufen! Sie läuft auf ihren Kollegen zu. Der hält immer noch die Hände auf dem Rücken verschränkt und wippt mit ihrer weißen Mütze in Gesäßhöhe, was an den Spiegel eines hoppelnden Kaninchen erinnert, zumindest von der Litfaßsäule aus, hinter der ich halb verborgen mit meinem Handy stehe und die Szene heimlich per Video aufzeichne, während ich sicherheitshalber so tue, als sei ich in ein darauf gespeichertes Spiel vertieft. Aber niemand beachtet mich.

     Diese kleinen Spackos! ruft die Beamtin und geht, statt die Mütze, die ihr Kollege ihr reicht, entgegenzunehmen, schnurstracks auf die Fahrbahn. Da wird sie fast von einem Auto angefahren, das quietschend bremst, und sie winkt es wütend weiter, worauf der Fahrer Gas gibt, während sie kehrt macht und zurück zur Bushaltestelle geht: Wißt ihr – ehrlich.

     Nun hau ab, sagt der Polizist zu dem Kerl in schwarzer Hose und Wollmütze, packt ihn am Jackenärmel, zerrt daran und winkt ihn mit der Mütze seiner Kollegin vorwärts.

Mann ey! braust die Polizistin wieder auf, hebt die Rechte wie in Karatestellung und kommt auf die Burschen zu, als wollte sie ihnen Handkantenschläge verpassen: Keinen Arsch in der Hose, aber...

     Doch ihr Kollege greift jetzt ein. Okay, ich würde vorschlagen..., sagt er und setzt seinen unausgesprochenen Vorschlag kurzerhand in die Tat um. Er nimmt den Typ in den Polizeigriff, marschiert mit ihm los, knufft dem anderen in weißer Hose in den Rücken, gibt Zeichen, endlich zu verschwinden, und die Burschen stolpern vor ihm her.

Ich würde vorschlagen, wiederholt der Polizist, ihr geht jetzt. Er läßt sie los, macht wegscheuchende Bewegungen und dreht sich zu seiner Kollegin um, die nun ihn parodiert, sich in eine slapstickartige Pantomime hineinsteigert, einen richtigen Tanz aufführt und dann mit ausholenden Gesten auf die grölend Abziehenden einschimpft.

     Hö! grölt sie zurück, klatscht in die Hände und rennt ihnen nach: Bravo, Jungs! Ihr Kollege versucht sie zu stoppen, indem er eine Hand nach ihrer Schulter ausstreckt ihr die Mütze wieder aufsetzt. Doch sie läßt sich nicht beruhigen, ruft ihnen nach: Trollt euch, ihr asozialen Schweine!, dreht sich zu dem Kollegen um, der ihr die Mütze auf dem Kopf festdrückt und schreit ihn an: Und die sollen später meine Rente bezahlen oder was?

     Ja, müssen se wohl, sagt der Polizist lächelnd, klopft der Frau, die sich die Mütze wieder runtergerissen hat und sie zu Boden feuert, beruhigend auf den Oberarm, bückt sich ein weiteres Mal nach ihrer Mütze, während sie beschwörend in die Luft, vielleicht auch in die Zukunft deutet und ruft: Ja müssen, die die die tun ja überhaupt nichts mehr!

     Sie macht eine wegwerfende Bewegung und klaubt ihm im selben Armschwung ihre hingehaltene Mütze aus der Hand, dreht sich weg, während er ihr auf die Achsel klopft, was sie sich mit einem unwilligen Abschütteln verbittet, worauf sie sich wieder umdreht, mit ihrer Mütze wild herumfuchtelt und ruft: Bleib mir vom Leib!

     Kommste jetzt mit? fragt der Polizist.

Ich hab da so die Schnauze voll, und wie die schon aussehen! schreit sie, während ihr Kollege auf den weißgrünen Streifenwagen auf der anderen Seite zuhält, sie auf dem Mittelstreifen toben läßt und sich möglichst zurückhält, um sie nicht weiter zu provozieren.

 

Puh, ich stecke das Handy ein, nachdem der Streifenwagen abgefahren ist, und setze mich auf den Sitz im gläsernen Wartehäuschen. Während ich auf den Bus warte, ziehe ich es wieder hervor und sehe mir das gespeicherte Video an. Ich will es bei You Tube im Internet hochladen und freue mich diebisch darauf. Im Geiste sehe ich schon die Express-Schlagzeile: Polizistin dreht durch – vom Dienst suspendiert.

     Da tauchen die beiden Typen wieder auf. Gib das Handy her, sagt der in schwarzer Hose und Wollmütze. Wird’s bald, bestärkt ihn der in weißer Hose und Baseballkappe und tritt mir gegen das Schienbein. Ich denke an die Gewaltvideos im Internet, habe plötzlich Riesenschiß und wünsche mir die Polizistin herbei, für die ich vorhin nur Schadenfreude empfunden habe.

     Ehe ich es ihnen hinhalte, drücke ich noch schnell die Löschtaste und triumphiere innerlich. Entschuldigung, sage ich aufstehend, und die Typen schlagen sich lachend auf die Schenkel. Sie beziehen es auf sich – dabei habe ich es zu Heike gesagt, der hübschen, schmalen Polizistin, die sich so aufgeregt hat.

     Aber bitte, gern geschehen, höhnt der Typ in schwarzer Wollmütze hinter mir her, während ich mich verdrücke, und tippt eine Nummer ein. Hee, Schlampe! höre ich ihn noch brüllen, kann aber nicht mehr sehen, ob ins Mikro hinein oder über die Straße, denn ich bin soeben um die Ecke gebogen und beginne, kaum aus ihrem Blickfeld, zu rennen.


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