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Milka oder Schlachtgraus (Überarbeitete Fassung)
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Milka oder Schlachtgraus (Überarbeitete Fassung)

I

 

Futter wurde in die steinerne Freßrinne vor dem Stallgitter der Kühe gestreut. Eine davon hieß Milka – ein Witzbold unter den Wärtern hatte sie so getauft. Sie steckte ihren Kopf durch die Stangen, um fressen zu können. Die wurden plötzlich mit einem Hebel aktiviert, und ihr Hals steckte wie in einer zugeschnappten Stahlfalle fest. Sie konnte ihren Schädel nicht mehr zurückziehen. Erschreckt schwang sie ihn hin und her, würgte und ergab sich in ihr Schicksal.

     Ein Wärter kam mit einem Knüppel und schlug ihr auf die Stirn zwischen den Hörnern. Heftig wand sie sich. Da schnappte die Verriegelung zurück. Stolpernd fuhr sie nach hinten in die Stallbox und knickte ein. Das Gitter sprang auf. Der Wärter kam mit seinem Stock herein, prügelte auf die verdutzt zurückweichenden Tiere ein und setzte ihnen nach. Brüllend brachen einige zu Boden, wuchteten sich wieder auf die Beine und versuchten den Schlägen zu entkommen.

     Es gab nur einen Ausweg: hinten links. Benommen drehte Milka sich zur Rückseite und floh auf die Helligkeit zu. Der Wärter folgte und hieb wahllos auf die Kühe ein. Der Ausgang ging auf eine hölzerne Rampe. Sie führte direkt in einen Viehtransporter. Die Tiere schienen zu wittern, was das bedeutete. Einige wollten, kaum mit den Hörnern gegen die Hinterwand des Wagens gerammt, wieder zurück und hinaus. Eins rutschte beim Umdrehen aus und brach sich ein Bein. Andere schafften es zurück auf die Rampe. Aber da stand nun ein ganzer Pulk stockschwingender Frauen und Männer, die sie schreiend zurückscheuchten. Außerdem trieben sie weitere Tiere heraus aus dem Stall und zu ihnen hinein, so daß die Kühe aufeinander prallten und ein grotesker Hörnerkampf entstand, der mit Forkenstichen für die panisch in den Transporter Galoppierenden entschieden wurde.

„Hopp hopp!“ brüllten die Wärter von draußen. Ein heiseres Röhren antwortete von drinnen. Die Männer und Frauen packten einige Tiere an den Schwänzen, ringelten sie zusammen und hielten sie so eisern fest, daß sie sich nicht mehr umdrehen konnten. Sie verabreichten den Kühen Schocks mit Elektrobolzen, die sie gegen ihre Hinterteile stießen, und versetzten sie damit so in Schrecken, daß sie blindlings vorwärts jagten und die aus dem Wagen Herausdrängenden einfach überrannten. Als die letzten im Transporter waren, drehten sie sich wie ihre Vorgänger um und versuchten die Flucht nach draußen. Wieder Schwingen von Stöcken und Hopp-hopp-Geschrei.

Einige Tiere ließen sich nicht einschüchtern, sondern versuchten mit blutüberströmtem Schädel die Barriere der fuchtelnden Wärter zu durchbrechen. Die hatten plötzlich Mistgabeln in den Fäusten und stachen damit rücksichtslos in ihre Gesichter. Einer Kuh platzte das Auge auf, und gallertartige Flüssigkeit spritzte heraus. Einer anderen troff Blut, vermischt mit zähem Rotz, vom Maul. Muhend versuchte sie im Rückwärtsgang die Rampe hochzusteigen. Da brach sie auf der Hinterhand zusammen. Ihre Flanken dampften und zitterten. Sie gab es auf und zuckte nur noch mit den Ohren. Wild hieben die Wärter auf sie ein. Ihr riesiger Körper, ein einziger Fleischberg, vibrierte unter den Schlägen: dumpfes Klatschen auf einem reglosen Leib.

     Schließlich wurde die Rampe mit einer Traktorgabel, unter die äußerste Kante geschoben, hochgewuchtet. Die benommene Kuh rutschte schlackernd zu den anderen in den engen Raum, der sich zugleich verfinsterte, und schlug brutal zwischen ihnen auf. Die massive Verladeschräge, eben noch ihr Laufsteg, schloß sich krachend.

Im Dunkeln ein wildes Stampfen, Muhen und Stoßen. Der große Transporter ächzte und dröhnte. Er drohte umzukippen. Da: greller Lichteinfall, der von rechts und links durch Luken einfiel und die Tiere blendete. Sie erstarrten für einen Moment. Das nutzten die hereinschauenden Wärter. Sie warfen einigen Kühen Stricke wie Lassos über die Schädel, zerrten sie zur Seite gegen die Stahlgitter vor den Transporterwänden und banden sie an den extra dafür vorgesehenen Holmen und Löchern fest. Einige Kühe versuchten sich aufzubäumen und wurden gnadenlos niedergeknüppelt.

Eingekeilt im Stockfinsteren, Leib an Leib hin- und hergeworfen in den Kurven, beim Bremsen und Beschleunigen, dauerte die Fahrt endlos und kostete manchem Tier das Leben.

     Nicht mehr ängstliches, sondern freudiges Muhen am Bestimmungsort, als der Laster zum Stehen kam. Donnernd ging die Rampe herunter. Die Tiere wurden von den Seitenstangen losgebunden. Die Luft im Transporter war so stickig, daß sie die Wahl zwischen Ersticken und dem hatten, was sie draußen erwartete. Einige schienen es zu ahnen. Kaum war der Ammoniak-, Dung-, und Schweißgeruch weniger unerträglich geworden und hatten sie ein Mindestmaß an lebensnotwendigem Sauerstoff mit gierigen Nüstern eingesogen, überkam sie die alte Todesangst. Sie drängten zurück ins Wageninnere und lösten dort eine Panik aus. Wie zuvor kaum eine Kuh freiwillig hineingestolpert war, wollte jetzt kaum eine wieder hinaus, am wenigsten die Älteren. So kam es, daß die Jüngeren und Schwächeren, gelockt von der frischen Luft und dem sonnigen Licht, in die erste Reihe rückten. Draußen warteten schon Männer und Frauen in Gummischürzen auf sie, ergriffen die lose baumelnden Stricke und rissen daran.

     Die Kälber blökten, stemmten ihre Vorderbeine gegen das Fallreep und rutschten stolpernd über die quer aufgenagelten Trittleisten. Sie rafften sich auf, strauchelten wieder, wurden vom eigenen Gewicht vorwärtsgestoßen und setzten sich im Wackelschritt in Bewegung, mitgeschleift von Riesenkerlen, während Frauen auf sie einschlugen und aufpaßten, daß sie nicht ausscherten.

     Ein Mann mit Hut, auf dem ein Gamsbart wedelte, sprang auf den Laster, schnappte sich den Strick eines schwarzweiß gescheckten Kalbs, das bockte, und zog und schob es vorwärts. Das Jungtier, schwächer als er, konnte ihm nicht standhalten und taumelte auf die Diagonale zu. Es verlor völlig den Tritt, und um nicht zu stürzen, machte es einige Sprünge hinab.

Der Mann stieß es jetzt von hinten und hielt es gleichzeitig am Strick, wie einen widerspenstigen Hund an der Leine. Es versuchte in die andere Richtung zu entkommen, weshalb er es außerdem am Schwanz packte und hochriß, so daß es mit den Hinterläufen quasi im Leeren trabte. So dirigierte er es: links herum – Halt! Er zurrte das Seil noch fester, als das Kalb in einer Rechtsdrehung zurück zum Transporter wollte, und zerrte es zugleich am Ohr mit dem gelben Schild daran. Fast trug er es um die nächste Ecke.

Das Tier brach hinten in die Knie, doch der Mann hievte es am Schwanz zurück in den Stand und drehte diesen zu einem Kringel um sich selbst: wie eine Feder bis zum Anschlag bzw. zum Schmerz, der es folgsam machte. Es galoppierte jetzt beinahe, um der Qual zu entgehen, und bog um die nächste Ecke in einen Gang zwischen Stahltür und weißgekachelter Wand, wo es wie angewurzelt stehenblieb, dem Schubsen und Treten von hinten zum Trotz.

     Der Mann sprang vor das Tier, das sich jetzt mit allen vier Hufen gegen den Boden stemmte, und schleifte es von vorn im Rückwärtsgang am Seil hinter sich her. Das hielt er nun ganz kurz gerafft, um beide Hände geschlungen, die er mit angezogenen Armen gegen seine Brust drückte. Grunzend ruckte und riß er. Das Tier röchelte. Plötzlich setzte es sich wieder in Trab, und der Mann wäre fast nach hinten zu Boden geschlagen. Das Kalb prallte zurück und nutzte den hilflosen Moment seines Peinigers nicht, um ihn anzugreifen.

 

 

 

II

 

Milka wurde mit den anderen Kühen in einen halbhohen Gang aus Beton getrieben. Der war so eng, daß sie nur hintereinander herlaufen konnten. Die Seitenwände reichten den draußen stehenden Männern in Helm und Gummihose bis zur Brust. Sie hatten angespitzte Stöcke in den Fäusten, mit denen sie die Tiere weniger schlugen als ihnen vielmehr in die Flanken stießen, um sie vorwärts zu treiben.

     Vorne schwang eine Kuh den Kopf über das doppelte Stahlgeländer auf der Betonwand und hätte fast einen Schlachthausangestellten mit dem Horn erwischt. Sie war auf das vordere Tier gesprungen und ragte über die anderen hinaus. Brüllend schleuderte sie ihr mächtiges Haupt mit den blutverkrusteten Stirnlocken hin und her. Die zurückgewichenen Männer kamen mit langen Spießen herbei und schlugen aus sicherem Abstand auf die Widerspenstige ein. Sie ließ sich nicht zurückscheuchen und blickte mit wild schwenkenden Hörnern umher. Da stießen die Männer ihrer Vorgängerin, die sie wie beim Kopulieren mit den Vorderläufen umklammert hielt, in die Seite, und die machte einen Satz vorwärts. Die aufgestemmte Kuh rutschte von der Kruppe, landete zurück im engen Betongang und hatte nun keine Bewegungsfreiheit mehr. Ihre Hörner schlugen gegen die Wände links und rechts.

Sie wollte wieder hoch, aber die Männer schoben Stangen zwischen die Doppelgeländer auf beiden Seiten über ihr, und die hinderten sie an einem neuen Aufbäumen: bei jedem Versuch krachte sie gegen die klirrenden Stangen, die sie wie Käfiggitter niederhielten. Sie tobte auf der Stelle, bis sie niedersank und den ganzen Vorwärtsmarsch jetzt erst recht blockierte.

     Die Männer trieben die Tiere vor ihr den Gang hinauf und versperrten den hinteren den Weg. Dann sprang einer über das Geländer hinein und näherte sich der niedergebrochenen Kuh. Sie versuchte, auf die Beine zu kommen und ihn auf die Hörner zu nehmen. Doch sie sackte wieder zu Boden und röhrte mit blutunterlaufenen Augen und rotem Schaum vor dem Maul.

Der Mann warf ihr eine Kette über die Hörner und schwang sich dann schnell über die Mauer. Vergeblich versuchte die Kuh die Kette abzuschütteln, deren Enden an einem hydraulischen Kran an Schienen unter der Decke befestigt wurden. Nun wurde sie am Schädel in die Höhe gezogen, bis sie auf die Hinterläufe zu stehen kam und mit den Vorderhufen im Leeren strampelte. Langsam wurde sie heruntergelassen. Wackelig stand sie auf ihren vier Beinen und wäre wieder zusammengebrochen, wenn die Kette sie nicht gehalten hätte.

Jetzt wurde der Kran auf den Schienen unter der Decke vorwärtsbewegt. Er zog die halb Ohnmächtige im Betongang mit sich. Vorsichtshalber wurden über ihr im Doppelgeländer weiter die Stangen von Männern gehalten, die sie begleiteten, um ein neues Aufbäumen zu verhindern. Aber die Kuh hatte ohnehin keine Kraft mehr dazu und torkelte mit zittrigen Flanken auf die monströse Maschine zu, die am Ende des langen Ganges ihr Riesenmaul aufsperrte.

Da der Gang einen rechtwinkeligen Knick machte, bekamen die hinteren Tiere das mörderische Manöver da vorn mit, soweit es im Halbdämmer möglich war. Die Maschine war ein runder, schwarzer Koloß, wie das Vorderteil einer alten Dampflok, nur viel größer, von zahllosen Leitungen und Stangen umgeben. Sie war wie ein riesiger Ofen innen mit einem Trommelbauch ausgestattet, in den das vorderste Tier in der Schlange mit Elektrobolzen hineingedrängt wurde, worauf hinter ihm eine stählerne Falltür herunterging, die das nachfolgende stoppte.

Vorn guckte nun der Kopf aus der Maschine heraus. Drinnen schien sich ihr Stahlmagen zusammenzuziehen und die eingesperrte Kuh bis zur Unbeweglichkeit festzuklemmen. Entsetzt schüttelte sie ihren Schädel. Da zischte und dampfte es wie aus etlichen Düsen, und es roch nach verbrühtem Fell, als würde es mit heißem Wasser abgesprüht. Aus dem herausragenden Kopf drang ein furchtbares Klagen.

Zwei Männer in gewaltigen Gummischürzen legten vor der Maschine diverse Werkzeuge bereit. Das verzweifelte Muhen des Tiers schien sie nicht zu berühren. Einer von ihnen drückte auf einen Hebel. Die Maschine begann sich mitsamt ihrem Inhalt wie die Trommel in einem Revolver um ihre eigene Achse zu drehen. Der andere Mann stellte einen scharfstrahligen Wasserwerfer an. In dem zischenden Sprühen glitzerte ein Regenbogen. Das Gebrüll des Tieres, jetzt kopfüber, hallte von den Wänden wider.

Es wurde mehrmals um sich selbst gedreht. Der Mann vor ihm brauste es ab. Er hielt die Düse überall hin, als wollte er den Kopf rundum desinfizieren. Der bewegte sich bald wie in Trance. Dann schlackerte er nur noch wie leblos, von der eigenen Schwerkraft geschlenkert.

Der andere Mann hielt dem Tier in der Rückenlage jetzt einen Elektroschocker an die rosige Nase, als wollte er es völlig betäuben. Prompt hob sich der herabbaumelnde Schädel noch einmal, muhte und verstummte endgültig. Der Mann mit der Düse entfernte sich und ein anderer kam mit einem armlangen Messer. Er stellte sich neben den rückwärts herabhängenden Kuhkopf. Ratsch fuhr die Schneide in die dargebotene Kehle.

Eine ungeheure Blutfontäne stieg fächerförmig auf und schwappte in ein viereckiges, erhabenes Abflußgitter am Boden. Der Mann wartete ab, bis alles vorbei war. Dann stieg er aufs Gitter, stellte sich vor den Kopf mit der klaffenden Wunde am Hals und erweiterte sie mit dem Messer, trennte beides weit, aber nicht vollständig voneinander. Neues Blut flutete diesmal nicht wie ein abschüssiger Bach, sondern floß in Wellen heraus und versiegte allmählich. Der Mann schlitzte jetzt mit einem kleineren Messer auch die Brust unterhalb der gähnenden Halswunde auf und schnitt darin herum, wohl um restliche Adern zu öffnen und alles herausbluten zu lassen. Dabei riß er Innereien heraus. Er zog sie mit der Linken nach draußen und hackte mit der Rechten in Fleisch und Gekröse.

Ein anderer Mann betätigte im Hintergrund einen Hebel. Die Trommel bewegte sich in einer Vierteldrehung nach oben, mit dem abgeknickten, blutüberströmten Kopf, dessen Maul offenstand wie zu einem grausigen Grinsen. Wieder kam der Mann mit der Düse und spritzte alles ab. Dann wurde die Trommel wieder gedreht, diesmal öfter ganz herum, und je nach der Lage des Leibes schossen Blutstrahlen mehr oder weniger weit heraus, manchmal bis gegen die hintere Wand.

Die nächste Kuh war während des Aufschlitzens ihrer Kehle noch lebendig. Sie hob und senkte den Schädel, während die Trommel rotierte und ein Blutstrahl wie eine rote Krawatte an ihrem Hals flatterte. Dabei riß sie die Lefzen auf und spitzte sie wie zu einem Kuß in die Luft, die erfüllt war von ihrem Röcheln, das sie statt Gebrüll hervorstieß.

Obwohl sie noch lebte, rissen die Männer Blutbrocken aus ihrem aufgeschnittenen Leib und warfen sie in bereitstehende Plastikeimer. Schließlich wurde die Trommel weitergedreht und mit ihrer Klappe über dem flachen Stahlbottich am Boden zum Halten gebracht. Sie schnappte auf, und der schwere Körper stürzte heraus. Er glitschte mit Wucht über den blutüberschwemmten Boden, drehte sich und blieb vibrierend auf der anderen Seite liegen.

Doch da erwachte das scheinbar tote Tier wieder, wand sich, und die heraushängenden Innereien pendelten an der Schnittstelle mit. Einmal gab es noch eine Art Gurgeln von sich – dann rutschte es zurück auf die Seite und erstarrte. Ein Gestiefelter watete im Blutsumpf herbei und schloß ihm eine Kette um ein Hinterbein. Sie war mit dem Hebekran oben verbunden, der den Leib hochzog und fortschaffte, in eine andere Halle.

 

Soeben ist eine weitere Kuh hinter der stählernen Falltür am Ende des Betongangs verschwunden. Milka ist die nächste. Jauchedünner Kot läuft ihr aus dem After. Das Gebrüll ihrer Vorgängerin erfüllt die Luft.

 


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