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Mikrokosmos

 

Käfer schreiten, scheinbar aufgezogen wie winzige mechanische Spielzeuge, gleichmäßig voran, unwirklich, glänzend, schwarz und bedrohlich in einer Welt, die meiner völlig fremd ist.

     Sie bewegen sich über den feinkörnigen Waldweg aus roter, zerriebener Asche: winziger Schotter aus meiner Sicht, aber Geröll, faust- und kopfgroße Steinbrocken aus der Perspektive dieser urtümlichen Wesen.

Sie scheinen wie aus schwarzlackiertem Blech gemacht zu sein: gewölbt, spiegelnd im Sonnenlicht, das in grellen Flecken auf dem Boden zittert – Lichtseen, die mit Schattenrändern abwechseln, und die erinnern an die Ufer einer Deltalandschaft aus Hell und Dunkel.

Das Helle gleißt wie Wasserspiegel. Darauf diese mechanischen Spielzeuge: Panzer, in Bewegung gesetzt von den Mächten eines mir unsichtbaren Krieges, der dort im Gange ist, scheinbar gemächlich, aber gnadenlos – erkennbar an den vielen Käferleichen.

Viele sind zertreten, in den rötlichen Untergrund gestampft: jeweils ein breiter, erstarrter Brei, aus dem noch hier und da Gliedmaßen zucken, wie im Leeren sich weiter bewegende Hebel einer zerstörten Maschine – sinnlos zittern sie einem scheinbar unbeteiligten, darum umso grausameren Universum letzte Signale in automatischen Reflexen entgegen.

Ein intakter Panzer schiebt sich über die Bruchstücke der anderen und verharrt. Dann ruckelt und zerrt er an den schwärzlichen, nicht mehr wie er so blank glänzenden Überresten. Stücke davon schleppt er an den Wegrand, dorthin, wo einzelne Grashalme in der Brise wehen: ein beginnender Urwald, in dem andere Ungeheuer lauern, Spinnen, perfekte Mordmaschinen, auch metallisch blitzende Käfer oder Ameisen, die sich, verglichen mit den behäbigen Panzern, rasend schnell bewegen und Grashalme erklimmen – da wippen sie im schwankenden Wipfel.

Ein schwarzer Käfer schiebt sich durch die Halme, biegt sie beiseite – es erinnert mich an einen Dokumentarfilm, in dem die Panzer der Eroberer durch ein Dorf brakten und alles niederwalzten, was ihnen im Weg war: ein hölzerner Hochleitungsmast, Zaunpfosten, alles mit brachialer Gewalt beiseite gedrückt.

Bedrohlicher Anblick, noch beklemmender durch meinen tuckernden Kopfschmerz: Überrest meines verkaterten Zustands, der meine Depression ins Unermeßliche steigert – gespeist aus endogenen Giftquellen. Sie verwandeln meine Umwelt in etwas Grauenvolles, mag sie auch noch so sonnenheiter flimmern. Das strahlende Licht blendet mich, läßt diesen urweltlichen Abgrund noch finsterer erscheinen – da bewegt sich plötzlich etwas Größeres, Plattes, das ich zuerst für ein im Lufthauch wedelndes Blatt halte.

Es ist ein winziger Frosch, staubig, stumpf, eingetrocknet, leicht gewölbt, hin- und hergewendet von einem dieser Mistkäfer. Er hat sich seitlich in ihm verbissen: obszön, wie in einem absurden Geschlechtsakt – so rüttelt er an dem Frosch, der teilweise in den Boden hineingewest ist. Mit aller Wucht versucht er den festsitzenden Leichnam zu lösen, mitten auf dem Waldweg, ohne sich um sonst etwas zu kümmern. Unbeirrt zerrt er weiter an ihm.

Ich reiße mich los von dem Anblick und trete zur Seite, um einem Jogger Platz zu machen, der in neuen Turnschuhen federnd angelaufen kommt. Er tritt genau in den Froschkadaver und den in ihm verkeilten Panzer hinein, ohne daß es ihm bewußt ist, und verschwindet dann in der nächsten Waldbiegung.

Ich gehe zur Wegmitte, um mir das Desaster anzusehen. Da bewegen sich schon andere schwarze, glänzende Panzer wie mechanische Spielzeuge auf die Trümmer ihres Artgenossen zu, der hineingequetscht ist in die jetzt völlig platte, graustumpfe Froschmasse, und machen sich an beidem zu schaffen.

Ich aber stehe wie angewurzelt da, gelähmt von der Vorstellung, bei jedem Schritt zerplatzten Käfer wie Knallerbsen unter meinen Sohlen.


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