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Schwarze Splitter

 

Er reicht mir die Hand und führt mich. Unser Gehen wird zum Tanz. Irgendwann sinke ich in Ohnmacht, und als ich erwache, lese ich die Schrift im Sand: Du hast meine Hand zerdrückt. – Ich wälze mich darüber und zerwühle die Buchstaben. Dann grabe ich mich ein und hoffe, unentdeckt zu bleiben. Aber schon bellen die Spürhunde.

 

                   *

 

Man setzt auch ihn auf das lange Brett, das mit Seife eingeschmiert ist, und hebt es dann an. Er hampelt wie an Fäden gerissen und hält sich an den Mitrutschenden fest. Das Brett mündet in ein Loch. Doch er stürzt sich nicht wie einige andere verzweifelt hinein, sondern krallt sich am Holz fest, um der Vernichtung noch eine Zeitlang zu entgehen. Er konzentriert sich auf den konkreten Moment und verdrängt so das Unausweichliche.

 

                   *

 

Angenommen, der Meister würde dem Jünger das Hemd aufreißen, eine Brustwarze zwischen die Finger nehmen, sie drehen, bis ihm das Blut über die Hand liefe, und der Schmerzaufbrüllende sänke aufs Knie und stieße die gewünschten Geständnisse aus, worauf sein Meister ihn abzuschütteln versuchte, der Gedemütigte sich aber an seine Beine klammerte, ihm die andere Brustwarze hinhielte und flehte, die Prozedur zu wiederholen – wäre es wirklich unglaublich, daß der Weggetretene noch mit gebrochenem Rückgrat an seinem Herrn festhielte?

 

                   *

 

Überall umragt uns der Tod. Die Erinnerung reicht Bruchstücke hoch. Verwitterung schon beim Gleiten von einem Zustand in den anderen. Ewiges Nachfallen und Wegtauchen. Während wir uns noch in der Schwebe befinden, zerfallen wir schon bei lebendigem Leibe, und nirgends ein Halt.

 

*

 

Breitbeinig auf zwei auseinanderklaffenden Schollen stehen und nicht den Sprung auf eine davon schaffen. Die Schollen driften immer weiter auseinander, drehen sich um sich selbst und treiben ins Dunkel.

 

                   *

 

Er stolpert so unglücklich, daß er mit dem Kopf aufschlägt und bald in einer Blutlache liegt. Er denkt an das Ende und ist nicht sonderlich aufgeregt. Es ist, als lege er sich nach einem sinnlosen Tag endlich zur Ruhe. Leute kommen herbei, um ihn zu verbinden. Er seufzt vor Rührung. Die Leute glauben, er stöhne vor Schmerz, und gehen noch behutsamer mit ihm um. Er beginnt zu weinen. Da erheben sich alle wie ein Mann, stoßen ihn in den Graben und gehen davon. Er reißt sich die Verbände ab und will es möglichst schnell hinter sich haben. Peinlich ist nur das Blut auf der Straße.

 

                   *

 

Am Horizont ein frisch ausgehobenes Grab. Er verlangsamt den Schritt, je weiter sie darauf zukommen. Er schaut überallhin, um nur die Stelle nicht sehen zu müssen. Der einst peitschende Schwanz ist ihm kupiert worden. Die einst weite Brust hat ihm ein zu enges Geschirr zerdrückt. Sein einstiger Wille ist zum Gehorsam verkommen. Aber plötzlich greift er seinen Herrn an und reißt ihm die Halsschlagader auf. Er zerrt ihn zum Grab, stößt ihn hinein und schüttet es mit allen vieren zu.

 

                   *

 

Ein Kind, allein auf dem Rücksitz eines Autos auf dem Parkplatz. Es duckt sich ins Polster, als ein Mann vor ihm stehen bleibt. Er klopft ans Fenster und macht begütigende Zeichen. Die kleine Gestalt im Wageninneren drückt das Gesicht fest in den Sitz und muckst sich nicht. Der Mann öffnet behutsam die Tür. Das Kind stellt sich tot. Der Mann schließt die Tür wieder. Beim Weggehen schaut er noch einmal zurück. Das Kind blickt ihm nach, geht aber sofort wieder in Deckung. Der Mann will sich endgültig abwenden – da taucht das Kind erneut auf und hält einen Stofflöwen hoch. Den läßt es Angriffsgebärden machen: wütend schlägt das Stofftier gegen das Fenster. Der Mann hebt schützend den Arm und macht eine bittende Geste. Da besänftigt sich das furchtbare Tier. Das Kind reibt seine Pfoten versöhnlich gegeneinander, und der Mann lächelt. Dann geht er weiter. Das Kind kurbelt das Fenster herunter und ruft: Er tut nichts! Der Mann nickt und verschwindet.

 

                   *

 

Er klopft und fragt, ob er störe. Sie verneinen. Er setzt sich dazu, trinkt mit und friert. Geselligkeit: sie schmilzt nicht sein inneres Eis. Sein Gehirn ist ein Krampf und sein Mund ein plätschernder Brunnen. Sehnsüchtig schaut er in die Runde – niemand begreift ihn. Seine Welt berührt die anderen nicht. In ihm ist Krieg, aber sie sind friedlich. Er säuft bis zum Brechreiz, will mit ihnen versumpfen. Doch er kann sich nicht fallenlassen. Später verwildert er und verweigert sich allem.

 

                   *

 

Irgendwann verliert er die Kontrolle. Die Gesichtszüge verrutschen ihm zu einer blöden Grimasse. Sein Leib gehorcht nicht mehr. Das Denken wühlt in ihm wie in Schlamm. Sein Körper stolpert in alle Richtungen, um das Gleichgewicht zu halten. Dann wird er langsamer, kippt um, und die Luft ist wie Kristall, in dem er eingegossen ist: für immer erstarrt.

 

                   *

 

Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, ein kleines Loch zuzuschütten und glaubt, es schnell erledigen zu können. Doch es wird mit jeder Handvoll Sand größer. Schon hatte er einen Berg hineingeschaufelt, und das Loch klafft tiefer und weiter als jemals zuvor.

 

                   *

 

Die Stäbchen lehnen so aneinander, daß sie sich gegenseitig stützen und jedes zum Halt des Ganzen wichtig ist. Jedes Wegnehmen bringt alles zum Einsturz. Trotzdem verlangt man, ich soll mich an die Arbeit machen, und wenn nicht – man zeigt mir die Folterinstrumente.

 

                   *

 

Vor allem die Finger sind mißgestaltet, aufgequollen wie Wurstpellen und blauschwarz. Die Gesichter sind noch beweglich, wenn auch schon partienweise gelähmt. Ich beobachte die Unglücklichen aus meiner Zelle und wundere mich, daß sie die Kälte nicht zu spüren scheinen. Sie sitzen auf Eisblöcken, tatenlos. Einige schlagen anderen ungelenk ins Gesicht. Andere sehen aus, als würden sie schlafen. Einer will urinieren, versucht sich aufzuknöpfen, was ihm mit den klumpigen Fingern aber nicht gelingt. Also näßt er sich ein. Rauhreif überzieht die feuchte Hose. Sie wird steif, und er kann sich nicht mehr bewegen. Hin und wieder schreien die Ärmsten unartikuliert. Schon sind die meisten erfroren, und die, die noch zucken, blicken stumpf vor sich hin.

 

                   *

 

Er denkt nur an den Aufstieg, tastet nach jeder hervorstehenden Kante, jedem Spalt, rutscht an glitschigem Moos ab, hängt fest und droht den Halt zu verlieren. Der Wind heult, er auch. Schon will er aufgeben, sich einfach fallen lassen, kommt dann aber irgendwie weiter und hängt nun verkrallt in der Steilwand, die Finger wie Dübel in kleine Risse gebohrt. Unter ihm schwindelerregende Tiefe. Über ihm verschwimmen die Felsen in Wolken. Da stürzt er hinab wie ein Stein, landet aber seltsamerweise auf weichem, laubbedecktem Boden. Hier bauen sich kleine Menschen Hütten. Sie reißen Knüppel aus den zusammengetragenen Ästen und rennen schreiend auf ihn zu. Er aber flieht in seiner Panik zurück zur Felswand und denkt nur an erneuten Aufstieg.

 

                   *

 

Streunen durch Wiesen und Felder. Drüben ein Haus. Er rennt darauf zu, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, die Augen zusammengekniffen, und kracht gegen die Mauer, die standhält. Mit aufgeschlagener Stirn stützt er sich an der Wand wieder auf und versucht mit den Nägeln ein Loch ins Gemäuer zu kratzen. Da sieht er die Tür und schleppt sich hin. Die Klinke ist abgebrochen. Blick durchs Schlüsselloch: zu dunkel. Er wendet sich ab, stapft durch Schlamm und Morast. Kein Haus weit und breit.

 

                   *

 

Schwarze Schuhe, darüber ein geschlossener Mantel, auf dem ein Vollbart schwankt. Stolpern. Der Mantel reißt auf: leer, nur das Innenfutter leuchtet intensiv rot. Der Bart öffnet sich: ein Loch, das sich zu einem Abgrund vergrößert und alles verschluckt. Schwarze Schuhe, unsichtbar jetzt im Dunkeln. Nur die Schritte sind zu hören.

 

                   *

 

Er ballt einen Schneeball, wirft ihn hoch, fängt ihn auf, drückt ihn zusammen, und er wird klein, hart und wäßrig. Er läßt den glasigen Eisklumpen in die unberührte Schneefläche fallen, in die er ein Loch schlägt und tief einsackt. Er hockt sich hin, greift in das pulvrige Weiß nach der Kugel, an der frischer Schnee haftet, den er festklopft, rollt sie weiter, und der größer werdende Klumpen läßt eine hohle Gasse zurück. Er schiebt ihn vorwärts, greift jetzt mit beiden Händen zu, pappt unebene und lockere Stellen an der wachsenden Schneemasse fest und stemmt sich mit dem ganzen Körper dagegen. Bald kriegt er den Koloß kaum noch von der Stelle. Er stößt, schwitzt und schnauft, hinterläßt eine immer breitere Spur, schuftet und zittert vor Anstrengung. Schon überragt ihn das Monstrum, und er wirft sich mit aller Gewalt dagegen, bearbeitet es mit seinen lächerlich kleinen Fäusten und wuchtet sich gegen die unbewegliche Masse, als wollte er den Erdball vor sich herwälzen. Schließlich gefriert er und lehnt, ein kleiner Eiszapf, gegen den riesigen Schneeberg, als wollte er ihn abstützen, um eine Lawine zu verhindern.

 

                   *

 

Völlige Dunkelheit im Tunnel. Der Eingang verblaßt immer mehr, je weiter er vordringt. Er bewegt sich wie in schwarzer Tinte, stößt seine Stirn in diese Nacht. Da erblickt er den schwachen Lichtschein des Ausgangs. Jubelnd rennt er darauf zu. Doch die Helligkeit schiebt sich wie die Horizontlinie unerreichbar vor ihm her.

 

                   *

 

Kahler Baum im Nebel. Er steigt hinauf. Hände und Füße tasten nach ständig höherem Halt. Der Baum ist grün von glitschigem Moos. Alles scheint sicher. Die Äste sind beruhigend dick. Der Nebel ist so dicht, daß er meint, hineingehen zu können. Da knackt der Ast unter ihm. Er greift um sich, seine Füße suchen nach einem Halt, doch ein Ast nach dem anderen bricht weg. Seine Hände packen zu, lassen los, packen wieder zu, und seine Füße treten ins Leere. Ruckartig stürzt er hinab. Alles unter ihm zersplittert. Arme und Beine umklammern zuletzt den Stamm: der birst auseinander, und er trudelt durch den Nebel, der ihn nicht trägt.

 

                   *

 

Ein Nervensystem aus Gängen. In den Wänden reiht sich Tür an Tür. Dahinter kleine quadratische Räume, aus denen Schreibmaschinen wie Klapperschlangen rasseln. Er irrt treppauf, treppab, durch Schläuche, die in Schläuchen münden. Um ihn Schübe von Menschen: sie schrumpfen zu graukleinen Ratten und huschen über den Boden, flitzen auf allen vieren, fluten hierhin und dorthin, wimmeln vor Türen, kämpfen miteinander und fressen sich gegenseitig. Einer verschlingt den Kopf eines anderen, dessen Hinterleib schon verdaut wird. Andere nagen an Türen, und manche sind so dünn, daß sie sich darunter hindurchzwängen können. Gibt eine Tür nach, drängt alles hinein, beißt und zerfleischt sich und verstopft den Eingang. Leichenhaufen wachsen hinaus auf den Flur und reichen hinauf bis zur Decke. Blut fließt in Strömen. Auch er selber schrumpft zur Ratte, schließt sich einem Zug an und wimmelt inmitten von Leibern. Die anderen haben keine Augen, sondern nur Reißzähne, erkennt er – bis auch er erblindet und sein Maul beißwütig aufreißt.

 

                   *

 

Auf den Balkon gestreutes Brot lockt Vögel an, immer mehr. Bald bedecken sie alles und hacken gegen die Scheibe: sie kreischen nach Brot. Er wirft vergiftetes durch das Kippfenster hinaus und verschließt es. Verendende Tiere werden zerhackt und über die Brüstung gedrängt oder gefressen. Weitere Wolken von Vögeln sinken auf den Balkon hinab und stürzen zur offenen Seite hin ab. Die vorderen Leiber werden gegen das Fenster gedrückt und zu blutigem Brei zerquetscht. Da platzt die Scheibe, und es quillt flatternd herein. Ihm sträuben sich die Haare – sie werden zu Federn. Er flüchtet sich in eine Vogelgestalt und geht in dem Gewimmel unter.

 

                   *

 

Überall blitzen polierte Türen. Sie lassen sich nicht öffnen. Jede Tür führt in ein Hochhaus. Er klopft sich die Knöchel wund – vergeblich. Jetzt steht er vor einer Stahltür und hämmert mit dem Schuh dagegen. Nichts – er schleicht weiter, versucht es dann an einer Panzerglastür: völlig umsonst. Er resigniert, bewegt sich durch die verlassenen Straßen nur noch, um nicht zu erfrieren. Da nimmt er Anlauf, um sich den Kopf an einem riesigen Tor einzurennen: es öffnet sich im letzten Moment – er landet und versinkt in einer Kloake.

 

                   *

 

Jeden Morgen holt er seine Brötchen aus dem Bäckerladen um die Ecke. Unterdessen läuft die Kaffeemaschine – so auch heute. Doch diesmal irrt er kreuz und quer durch die Straßen, ohne den Laden zu finden. Das Kaffeewasser verdampft, und zur Arbeit kommt er auch nicht mehr pünktlich. Die Sonne erreicht ihren Scheitelpunkt und stürzt hinter den Häusern ab. Er hat den Bäckerladen deutlich vor Augen: sinnlos, hingelangen zu wollen. Er verjagt eine räudige Taube, die an einem dreckigen Butterbrot pickt, das er dann selbst herunterwürgt.

 

                   *

 

Sie machen einen Ausflug und sind fröhlich: heile Welt. In einer Seilbahn schweben sie über dem Abgrund. Plötzlich schreit einer. Dann toben sie alle. Die Kabine schwankt gefährlich. Das Stahlseil schwingt mit, und die Masten ächzen. Einer zückt ein Messer, dann alle. Sie bewerfen sich damit. Jeder schnappt das Geschoß auf, das auf ihn zuschnellt, und schleudert es gegen einen anderen. In der eisigen Stille das Zischen des blitzenden Stahls. Die Wände von Einstichen durchlöchert. Die Seilbahn stoppt und rollt rückwärts. Immer schneller saust sie hinab ins Tal, kracht unten gegen den Prellbock, zersplittert, und ein jeder stürzt seinem Gegenüber ins Messer.

 

                   *

 

Sein Messer, leicht wie ein Lufthauch, mit endlos ausfahrbarer Klinge. Es zerschneidet alles, und das ist verführerisch. Er säbelt Straßenlaternen ab, fällt Eichen, köpft den Fernsehturm, spaltet Hochhäuser, genießt seine Allmacht, schlachtet in der Fußgängerzone Menschen ab, wischt die Spitzen des Kölner Doms weg, genießt das alles jetzt kaum noch, kann aber nicht aufhören, muß sein Vernichtungswerk fortsetzen, richtet weltweite Katastrophen an, vierteilt den Mond, zerhackt schließlich den Boden, auf dem er steht und wird mit den Resten des Erdballs ins Universum gewirbelt.

 

                   *

 

Heiß knallt die Sonne. Er onaniert in den strahlenden Himmel. Ein Strahl steigt von ihm auf, streckt sich, stellt fast eine Nabelschnur zwischen ihm und dem Himmel her – fällt zurück und verdunstet, ehe die Sonne sich zum Horizont abseilt.

 

                   *

 

Sein Gesicht im halbblinden Spiegel. Es wird lebendig und grimassiert. Furchen zerbrechen die Stirn. Der Mund: ein riesiger Krater. Er schlägt sein Gesicht in den Spiegel, der zersplittert – mit ihm die Fratze. Die Augen fallen ihm aus dem Kopf. Auch sie haben zahllose Risse und kullern in den Rinnstein: Murmeln, die den blind tastenden Körper beobachten, der in den Scherben zersplittert wie vorhin das Gesicht im zerschlagenen Spiegel.

 

                   *

 

Lausige Nacht. Da schimmert ein schneeweißes Bett. Er stürzt darauf zu. Sein Atem trompetet. Neben der Krüppelkiefer steht das Bett still, und das Laken bläht sich wie ein Segel. Er hält darauf zu, doch das Bett bleibt in immer gleicher Entfernung, pumpt wie ein Blasebalg – hält sich vor Lachen das bauchige Plumeau!

 

                   *

 

Ein Vogel durchkreuzt das Zimmer. Schnack vor den Wänden wendet er und fliegt in eine andere Richtung. Erschöpft landet er auf dem Tisch. Sein ganzer Leib pumpt. Dann schwirren seine Flügel erneut. Er hebt ab und flattert im Zickzack. Plötzlich prallt er gegen die Scheibe, schlägt zu Boden und rollt unters Bett. Als ich nachsehe, finde ich nur ein zusammengelegtes Paar Socken. Ich scheine mich getäuscht zu haben – was aber bedeutet das herabrinnende Blut dort am Fenster?

 

                   *

 

Hinter jeder Tür eine Tür, die wieder zu einer Tür führt. Ich bin nur noch mit Klinkendrücken beschäftigt. Jede neue Tür kann die letzte sein. Dann laufe ich gegen eine Wand, tappe an ihr entlang bis in einen Winkel, in dem ich zusammenbreche, und die mich überkommende Schwärze halte ich für die Ankunft am Ziel.

 

                   *

 

Handel mit menschlichen Körpern. Reichliche Auswahl. Käufer betasten, untersuchen, lassen sich verschiedene Exemplare vorführen und schneiden auch mal zur Probe ins Fleisch. Körper für die Liebe, als Delikatesse oder für den Krieg. Die Industrie spezialisiert sich, entwickelt langfingrige fürs Klavierspiel, großköpfige für besondere Denkaufgaben, einarmige für immer denselben Knopfdruck, augenlose für Bergwerkarbeiten, platte und langhaarige als Bettvorleger oder dicke für boxbegeisterte Kinder. Aufwendige Versuche, um pure Körper zu züchten, Geist und Seele herauszufiltern. Absolut keimfreie sind das Ziel. Chromosomen werden gemixt, Gene manipuliert, Zellen geklont, Erbanlagen sterilisiert, Universitäten und multinationale Konzerne für neue Experimente gegründet und Höchstpreise für innovative Entdeckungen ausgeschrieben. Der Mensch ist ein einziges Forschungsgebiet. Immer raffiniertere Erfindungen werden registriert: das Patentamt birst vor Überlastung, und die Körpervielfalt wird unüberschaubar. Das Menschliche wird erfolgreich herausdestilliert, und bald gibt es nur noch Körper an sich. Sie schließen sich zu einem alles umspannenden, hochkomplizierten Mammutkomplex zusammen, und die Gesellschaft mutiert zum reibungslos funktionierenden Apparat, der letzte humane Überreste ausscheidet, sich schließlich ohne Fremdeinwirkung selbst reguliert und zum absolut autonomen System perfektioniert: Perpetuum mobile.

 

                   *

 

Sich den Revolver mit nur einer Kugel in der Trommel an die Schläfe halten: abdrücken, immer wieder, und jedes leere Klicken für eine Strafe halten.

 

                   *

 

Er wendet sich nach allen Seiten, kann nicht ausscheren, dreht sich schneller, rotiert, wird zur schwindelnden Pirouette, wirbelt auf der Stelle, schießt in die Höhe, und der Himmel senkt sich bleiern herab.

 

                   *

 

Gefletschte Zähne knirschen aufeinander, zersplittern. Blutiges Zahnfleisch wetzt gegeneinander. Zahnbrocken pflügen tiefe Furchen ins Fleisch. Eine Hand krallt sich in den Kiefer, bricht ihn heraus und schleudert ihn weg.

 

                   *

 

Der Boden saust auf seine Mitte zu. Alles strudelt hinein. Er flüchtet hinweg vom Loch, in den auf ihn zustürzenden Raum, und ist mit jedem Sprung hundert Sprünge zurückgeworfen.

 

                   *

 

Sich auffressen, zuerst die Beine, dann den ganzen Körper. Nur der Kopf rollt noch hin und her. Die Zunge leckt vergebens nach Nase und Ohren. Von sich selber schließlich so satt und übervoll sein, daß man sich wieder auskotzt.

 

                   *

 

Nabelschnur, festgewachsen in einem Loch. Sie strafft sich, strebt er fort, und schnurrt zusammen, gibt er auf: schleudert ihn zurück, ehe er sie sich aus dem Leib reißt. Mit Händen und Füßen gräbt er seinen Fluchtkreis.

 

                   *

 

Ein Seil, gespannt über einen Abgrund. Leute zirkeln darauf mit ausgebreiteten Armen, um die Balance zu halten. Viele stürzen wie Hagel vom Himmel. Ein Stürzender schlägt die Zähne ins Seil und baumelt an ihm. Aus Angst, er könnte es durchbeißen, trampeln die anderen auf ihm herum – da fällt er mit blutüberströmtem Kopf in die Tiefe.

 

                   *

 

Sich das Maul aufreißen zu einem Riß bis zu den Ohren. Links und rechts schlottern die Wangenhälften übereinander. Sie wachsen wieder zusammen, allerdings über die Mundwinkel hinaus: Nähte verschließen die Lippen, kommen von beiden Seiten aufeinander zu und treffen sich dann. Sich einen Schnauz- und Backenbart wachsen lassen, damit es niemand bemerkt.

 

                   *

 

Flach gegen die Erde gepreßt. Das Haar unterscheidet sich nicht mehr vom dorren Gras. Er bohrt sich in die Erde, schluckt und drückt sie in sich hinein. Sein Körper birst und zerrinnt: die Erde braucht allen Platz. Später wächst frisches Gras über die Sache.

 

                   *

 

Der Beifall wird fordernder. Zuschauer umstehen ihn und klatschen in einem immer rasenderen Takt. Sie werden zu Peitschen und ihre Gesichter zu auseinandergerollten Gebissen: sie schnappen nach ihm, zerren ihn hin und her.

                 

                   *

 

 

Abseits von mir suchen Leute den Boden ab, bücken sich, packen zu, und eine Münze blinkt zwischen ihren Fingern, die sie befriedigt einstecken. Auch ich grase den Boden mit Blicken ab, sehe aber nichts und ersticke vor Neid.

 

                   *

 

Schlängelnd flutscht er durchs Loch in die Flasche: ein weißer Strahl schießt heraus, und Blasen schäumen im Glashals. Jenseits davon: alles verquollen. Er hockt wie ein Fötus darin und schluckt Bier. Der Pegel sinkt – sein Körper quillt auf und drückt sich gegen die Rundung. Ein Schluckauf reißt ihm den Kopf zurück – Rülpser: Kaskaden steigen empor. Er kotzt sich leer: Innereien, wurstartig und brockig. Sein Leib sackt zusammen und schwappt in der trüben Pfütze. Noch ein Krampf: letzter Erguß aus dem Mund – dann blubbert er nur noch im eigenen Erbrochenen.

 

                   *

 

Im Schlaf steht die Zeit still. Er erwacht, und gleich schlägt es zur vollen Stunde. Da saust das Fallbeil herab, ehe er noch zur Besinnung kommt.

 

                   *

 

Runder Raum, hoch wie ein Schlot, oben offen.

In der Mitte ein Bett. Er liegt darin: warm wie im Schoß. Dennoch fröstelt ihm. Er rafft sich auf und übermalt die schwarze Öffnung, bis ein himmelblauer Deckel entsteht. Er kuschelt sich wieder ins Bett. Da senkt sich die hellblaue Platte, und er will sie hastig schwarz übermalen, doch die Arme knicken ihm weg wie zerbrechende Streichhölzer.

 

                   *

 

Sand. Der Himmel spannt sich über endlose Wüsten. Ich grabe nach Quellen, schaufle Sand. Winzige Tierchen krabbeln darin herum. Sie scheinen den Sand zu fressen, wieder auszuscheiden und keinen Durst zu verspüren.

 

                   *

 

Den Erdball trägt er nicht wie Atlas auf den Schultern, sondern, als gehe er mit ihm schwanger, im Leib. Er hat keine Titanenkraft, das Gewicht der Welt zu stemmen, und bricht bald schon unter ihrer Last zu Boden. Würden sich doch alle Menschen zusammenschließen zu einem einzigen Körper: wie leicht wäre die Kugel dann zu tragen. Doch statt dessen hat jeder seine eigenen Magengeschwüre und Verdauungsstörungen oder auch nur zu schwer zu Mittag gegessen: kaum zu bewältigen – wie dann erst der ganze Globus?

 

                   *

 

Großer Saal, unüberschaubar. Überall offene Türen. Durch jede fällt ein Lichtstrahl: weiße Speere – sie ragen ringförmig herein, und er sitzt mitten in ihrem Kreis. Er steht auf, geht durch einen Lichtspeer bis zur Tür und schließt sie, dann andere, bis fast alle Strahlen erloschen sind. Doch mit jeder geschlossenen Tür verringert sich die Weite des Saals. In der wachsenden Dunkelheit stößt er bereits gegen die herangerückten Wände und will den ursprünglichen Zustand wieder herstellen. Aber er findet die Türen nicht mehr. Die noch offenen fallen jetzt von selbst zu, und Wände und Decke rücken noch näher heran. Bald steckt er fest wie im Schraubstock, und er hält liegend, mit gespreizten Armen und Beinen, die letzten vier Türen offen. Die aber werden ruckartig zugedrückt, als stoße jemand von außen dagegen. Jedes Zuschnappen einer weiteren Tür würde ihn zerdrücken, und er stemmt sich verzweifelt gegen sie. Doch seine Kräfte lassen schon nach.

 

                   *

 

Er nimmt das Messer und schneidet sich die Kleider vom Leib. Dann setzt er es am Kehlkopf an und schlitzt sich auf, bis hinunter zum Nabel. Mit beiden Händen greift er links und rechts in den Spalt und reißt die Hälften auseinander. Die Haut klafft auf bis hoch zum Haaransatz und runter zum Penis. Er windet sich mit den Armen heraus, und seine Hände gleiten wie aus Handschuhen. Mit einer Hand greift er ins Haar und reißt es wie eine Kapuze vom Kopf. Die andere hilft, die Haut vom Rücken bis zu den Hüften herunterzuziehen. Da hängt sie wie ein Taucheranzug an ihm herab, und er will sich ganz herausschälen. Aber sein blutroter Körper trocknet schon, wird schwarz, und er kann sich nicht mehr bewegen.

 

                    *

 

Sanfte Umarmung. Alles ist Ruhe und Frieden. Da – schraubstockartige Umklammerung. Wurzeln wachsen ihm rundherum aus dem Körper und bohren sich in die ihn umschließende Wand. Er verliert das Gefühl der Körperabgrenzung. Der Druck weicht – schlimmer Unterdruck. Die Wurzeln, verwachsen mit der ihn umgebenden Masse, werden ihm aus dem Leib gerissen, und die Haut wird mitgerissen. Eine Zange packt ihn, der jetzt ein rohes Stück Fleisch ist, tunkt ihn in eine zähe Flüssigkeit und stellt ihn in eine Reihe gleicher Gestalten. Die neue Haut trocknet und umspannt ihn glatt und elastisch.

 

                   *

 

Kleine Kästchen, roh zusammengezimmert. In jedes wird ein Mensch hineingestopft. Was noch von ihm heraussteht, wird abgeschnitten. Die Kästchen werden zugenagelt und in einen großen Kasten gestapelt. Der wird dann verschlossen und schön lackiert.

 

                   *

 

Herbstbäume, noch warm von der Sonne, verlieren ihre Blätter. Es wird ein harter Winter. Immer neue Blätter taumeln zu Boden. Weich landen sie, regen sich noch und werden dann ruhig für immer. Komm, laß uns spazierengehen: das Laub raschelt unter unseren Sohlen, und in den schwarzgrauen Ästen regen sich schon die Blätter des kommenden Frühlings.

 

                   *

 

Ich stehe am offenen Fenster im düsteren Gang, direkt vor ihrer Tür. Doch ich wage nicht anzuklopfen. Stattdessen rauche ich die Zigarette, die sie mir das letzte Mal gedreht hat. Ich rauche sie mit einer Inbrunst, als empfange ich den Leib Christi. Jetzt kommuniziere ich mit ihr. Sie ist in dem Speichel gegenwärtig, mit dem sie das Blättchen um den Tabak zusammengeklebt hat. Ich inhaliere bis in mein tiefstes Inneres und rauche die Selbstgedrehte bis zu den Nägeln herunter – da geht die Glut von der Zigarette auf meine Fingerspitzen über. Ich verglimme bei lebendigem Leibe. Erst zerfällt meine Hand, dann mein Arm zu Asche. Der Schmerz frißt sich in meine Brust hinein, erfaßt mich von Kopf bis Fuß: miau mio, ich brenne lichterloh. Dann steige ich wie Phönix aus meiner Asche. Plötzlich steht sie in der offenen Tür und dreht mir eine neue Zigarette. Ich stürze zurück zu ihren Füßen, nehme ihre Gabe und rauche, verbrenne aufs neue. Schmerzhaft dabei ist weniger mein verglühendes Fleisch als vielmehr das Geräusch der zugeschlagenen Tür.

 

                   *

 

Ihm wird der Unterleib versiegelt, nachdem sein Geschlecht nach innen gestülpt worden ist. Es verkümmert allerdings nicht. Vielmehr erigiert es regelmäßig und pfählt ihn von unten nach oben. Der Penis, eingeschnürt von Gedärm, dehnt sich, platzt aus seiner Umschlingung und rammt sich, aufgerichtet, durch reißendes Gewebe. Er durchbricht Eingeweide, Magen und Leber, stößt durch Zwerchfell und Lungen, sprengt das Herz, wächst aufwärts durch Luftröhre und Schlund, durchbricht die Schädelplatte und ragt, Marter- und Schandpfahl in einem, hoch über ihm auf. Heftige Kontraktionen – das Ejakulat wird hinaus in den Raum geschleudert: so entstand die Milchstraße, heißt es. Dann schrumpft der Riesenspieß, zieht sich durch den geborstenen Schädel, den Hals, die zerfetzten Lungen zurück, und alles verheilt sogleich. Frieden – doch dann wächst der Pfahl aufs neue.

 

                   *

 

Die einfachsten Dinge werden plötzlich bedrohlich. Der Kuli wird zum Nagel und will mich durchbohren. Das an der Wand ist kein Lichtreflex mehr, sondern ein Riß, durch den ich auf ein dahinter flackerndes Feuer blicke. Es leckt herein. Bleckendes Rußmaul. Das Wispern der Laubkrone vor meinem Fenster wird zum Rauschen der Flügel eines riesigen Raben: schwarz und glänzend stolziert er über den Innenhof. Das Rauschen wird zum Sturm: der Vogel breitet die Flügel aus, schlägt sie, und die Bäume beugen sich, brechen nieder, als er sich erhebt und direkt auf mein Fenster zuschießt. Kreischend, den Schnabel aufgerissen, die Augen wie schwarze Blitze, kracht er gegen den Rahmen, aus dem die Scheiben spritzen, und er steckt fest in dem Loch in der Wand, verdunkelt das Zimmer, blutet und zirpt in spitzen Tönen, die mir das Trommelfell zerstechen. Nun ist das Zimmer nur noch vom flackernden Flammenmaul in der gegenüberliegenden Wand erhellt, und die kommt jetzt auf mich zu, so daß ich zwischen die Fronten gerate: hinter mir der feuerspeiende Riß und vor mir der ins Leere stoßende Schnabel – ich verbrenne entweder oder werde verhackstückt. Um das Unerträgliche abzukürzen, will ich mich dem Vogel entgegenwerfen, damit er mir mit einem raschen Schnabelhieb das Herz zerreißt. Aber mein Lebenswille ist ebenso stark wie mein Todeswunsch: da stehe ich im Patt zwischen den beiden Kräften, vom Grauen gebannt, und spüre die Hitze, die mir bereits die Kleidung versengt und mir brennend ins Fleisch beißt, während vor mir der Schnabel die Luft wie mit Sicheln zerschneidet. Schon zerfetzt er mir das Hemd, das nun vorne blutrot und hinten schwarzverkohlt ist. In meiner Not springe ich, wie von Sprungfedern getrieben, in die Höhe und wundere mich, daß ich mir nicht den Kopf an der Zimmerdecke einschlage. Ich lande auf dem Boden vor meinem Bett: es schaut triumphierend drein, als hätte es mich im letzten Moment aus der höchsten Gefahr geboxt, und ich klopfe ihm dankbar die Matratze.

 

                   *

 

In einer Grube finde ich mich wieder. Ekel: Gewürm und Gekreuch über und unter mir. Riesige Schmeißfliegen spazieren auf meinem nackten Körper. Spinnen mit haarigen Beinen bewegen ihre Beißer wie die Kiefer überdimensionaler Kneifzangen. Skorpione zucken mit erhobenem Schwanz, als würden sie jeden Moment zustechen. Dickleibige Maden wollen in meine Öffnungen eindringen. Eine schiebt mir bereits die Hinterbacken auseinander und versucht mit Nachdruck hineinzugelangen. Doch ein Gegendruck hält sie zurück: ein Drang wie die Notdurft – tatsächlich schiebt sich da etwas heraus, nicht Kot, sondern ein halbverwester tierischer Fötus. An ihm beginnen die Maden zu fressen, während er immer noch weiter hinausfährt. Er hat den Kopf eines Fisches, den Leib eines Krokodils und den Schwanz einer Ratte, verklebt von stinkendem Schleim: Mischung aus Eiter, Sperma und Leichensud. Auch die Fliegen gesellen sich dazu. Sie legen ihre Eier in dem Kadaver ab. Die Spinnen klauben sie heraus und fressen sie. Nun wimmelt es rings um mich her. Gewürm kriecht von unten nach oben. Insekten krabbeln von oben nach unten. Über mir schlagen Fledermäuse zackige Bahnen, stürzen hinab und greifen sich die Maden und Spinnen. Doch so viel sie auch verschlingen: das Ungeziefer wird nicht weniger, im Gegenteil. Da stößt ein Raubvogel hernieder, krallt mich, die fetteste Made, und fliegt mit mir in die Nacht. An einem abgelegenen Ort will er mich in Ruhe fressen – schon spüre ich, wie wir hinabsegeln. Auf einem Felsen gelandet, holt er mit dem Schnabel aus, um ihn mir in den Leib zu schlagen. Panisch zappele ich und will lieber in der Tiefe zerplatzen, als von dem Vieh verhackstückt zu werden. Und ich falle, falle so steil hinab, daß ich träume, ohne Fallschirm gesprungen zu sein. Schweißgebadet halte ich das Deckbett umschlungen: ein Ungeheuer, mit mir im Kampf auf Leben und Tod. Ich würge es, kann nicht damit aufhören und verfalle in einen Starrkrampf.

 

                   *

 

Plötzlich bewegt sich eine Spinne über ihm an der Wand, wird größer, kriecht auf ihn zu, hockt sich auf seinen Bauch, reißt mit ihren Krallen seinen Brustkorb wie morsches Gitterwerk auf, schlägt die Freßwerkzeuge in sein pumpendes Herz, und er fällt in tiefe Bewußtlosigkeit. Als er wieder erwacht, weicht die Erstarrung nur langsam. Mühselig schält er sich aus der Decke. Krämpfe gehen durch seinen Leib. Zu jedem Schritt zur Tür muß er sich zwingen. Eisige Luft. Er kriecht in sich zusammen. Der Wind treibt ihn hierhin und dorthin. Ein Auto: brummender Minotaurus mit glühenden Augen – er flieht in einen Hauseingang. - Ziegelsteinschluchten, ein ganzes Labyrinth: es schwankt, als würde es gleich einstürzen und ihn erschlagen – nein, er ist der Taumelnde und findet Halt an der Mauer. Dann muß er weiter, will er nicht erfrieren. Nach langem Umherirren findet er aus den Gängen heraus. Nun fährt ihn der Wind noch heftiger an. Er stampft, um nicht vor Frost zu erstarren. Wohin, ist egal – nur nicht stehenbleiben. Die Beine knicken ihm ein. Schon kriecht er auf allen vieren. Da sieht er Lichter. Er rappelt sich auf und läuft darauf zu. Stimmen, Musik – eine Herberge? Betrörende Melodien: er kennt sie und summt sie mit. Hellerleuchtetes Haus – jenseits des Tales. Eine Brücke führt über den Abgrund. Er betritt sie – mit jedem Schritt wird sie schmaler. Um keinen Preis will er zurück. Unter ihm tost ein Fluß: Gischt phosphoresziert. Über die Mitte ist er hinaus – die Brücke ist nur noch balkenbreit und verengt sich weiter, als er den nächsten Fuß vorwärts schiebt. Dann balanciert er wie auf einem schwankenden Weidenstock. Unter ihm schäumt und leckt es mit weißen Zungen hinauf. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, streckt er wie ein Seiltänzer die Hände aus. Doch er geht schon auf keinem Seil mehr – vielmehr ist es jetzt eine Art stählernes Garn: messerscharf schneidet es in seine Sohlen, weiter in seine Füße und Waden. Das eigene Gewicht drückt ihn in die Schneide hinein, immer tiefer: schon ist er bis zu den Hüften geteilt, bis zur Brust – seine durchschnittenen Hälften stürzten hinab, und zerschellen an den Felsenwänden.

 


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