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Kinderschänder

In der Absicht, mit meiner kürzlich erworbenen Pocket-Digitalkamera, einer Lumix DMC, metallic rot, einige Schnappschüsse zu machen, um sie im Internet auf einer Foto-Fan-Seite hochzuladen, ging ich mit meinem Freund Kurt, nachdem wir im Altenberger Hof er einen Kaffee und ich einen Rotwein getrunken hatten, ins sogenannte Nippeser Tälchen, das zu unser beider Erstaunen überfüllt war mit Menschen, die, grüppchenweise nebeneinander, mit Grillen, Ballspielen, Sonnenbaden und sonstigem Volkssport beschäftigt waren, wie ein Sardinenschwarm dicht zusammengerückt, eine Zumutung für meinen Freund Kurt, der auf der Stelle umkehren wollte, aber ich, aufgeputscht von dem Wein und der Gier, meine Lumix auszuprobieren, hielt ihn zurück und bestand darauf, uns in den Menschenpulk hineinzubegeben, den erstickenden, nach verbranntem Fleisch stinkenden Qualmwolken von den Grillstellen zum Trotz, und wir hielten auf eine soeben freigewordene Bank zu, auf der wir uns installierten, Kurt auf einem Sitzkissen, das er aus seinem Rucksack hervorzog, mit einem dicken Buch von Thomas Bernhard, in das er sich, zumindest geistig, angesichts der bedrohlichen Masse verflüchtigte, und ich mit der Lumix im Anschlag, deren Linse Augenhappen aufschnappte.

Nicht lange darauf wechselten wir auf eine Bank abseits am Niehler Kirchweg, vor der Anhöhe zum Altenberger Hof, unter der letzten übriggebliebenen Pappel, nahe dem Gebüsch vor der Mauer, in das mich mein Harndrang hineintrieb, noch ehe ich mich überhaupt gesetzt hatte, und während ich mich von der Notdurft befreite, hörte ich Kurt meinen Namen rufen, in warnendem Tonfall, dem ich jedoch keine ernsthafte Bedeutung beimaß, beschwor Kurt doch dauernd den Teufel herauf. Nein, wo ich schon mal hier war, wollte ich nach dem Wasserlassen, das eine wegsteckend und die Lumix hervorziehend, vom Wall des Altenberger Hofs aus noch einige Fotos vom Nippeser Tälchen schießen – eins-zwei, und oben angelangt, prallte ein Junge vor meiner plötzlich auftauchenden Gestalt zurück und rief erschrocken: „Ein Mann!“

Ich bestätigte das mit einem Lächeln und nickte freundlich zur Begrüßung, worauf ich nach links zu Kurt auf der Bank hinübersah, hinter der jetzt, am Rande des Niehler Kirchwegs, ein Polizeiauto parkte, wohl um Verkehrssünder zu stellen, denn wochenends ist diese Straße für Autofahrer gesperrt – erst nach meinem Gang ins Gebüsch mußte der Streifenwagen dort placiert worden sein, hatte ich ihn vorher doch nicht bemerkt, und jetzt wußte ich auch Kurts Rufen einzuordnen, der mich widerrechtlichen Pinkler in einer öffentlichen Anlage hatte warnen wollen: Vorsicht, Bullen!

Erst verwundert, dann entsetzt sah ich einen der am Hofgemäuer lümmelnden Jungen aufspringen, herumhüpfen und den Zeigefinger auf mich richten, als wollte er mich wie eine Motte damit aufspießen und festnageln, während er rief: „Ein Spanner, Lüstling, Kinderschänder!“, und aller Menschen Blicke fuhren auf mich, wie um dem dreckigen Finger zu helfen, mich zu durchbohren. Auch die Polizisten, denen soeben ein Mercedes wie eine fette Fliege ins Netz gegangen war, wurden auf mich aufmerksam, ließen ab von dem Fahrer und setzten sich in Bewegung, eine Hand auf der wackelnden Mütze, die andere am pendelnden Revolver, im Galopp die Anhöhe hinauf – als Kurt, auf der Bank unter der mächtigen Pappel, schreiend zu ihren Füßen niederschlug, sich aufbäumte und zuckte, woraufhin alle zu ihm rüberstarrten, und ich nutzte diesen Moment, in den Büschen unterzutauchen, hin zum anderen Ende, über die Straße hinter der Kurve, ruckzuck die Stufen hinauf und flach hinterm Mäuerchen auf den Boden.

Vor mir der Bowlingplatz, mit Männern, ganz in ihr Spiel vertieft, mich nicht weiter beachtend, während ich keuchte und schwitzte, mich allmählich wieder einkriegte, aber immer noch nicht wagte herüberzulugen, als endlich Kurts hochroter Kopf überm Treppenabsatz erschien, dann seine ganze Gestalt, und er in Gelächter ausbrach, als er mich hasenherzig am Stamm einer Eiche geduckt sah – er habe einen epileptischen Anfall markiert, erklärte er japsend: seit seiner Zeit in der Psychiatrie, wo er einen Epileptiker kennengelernt hatte, konnte er das erstaunlich gut und hatte mich so manches Mal damit furchtbar erschreckt, doch mir war jetzt nicht nach Spaßen zumute, zumal jedes Aufeinanderprallen der Bowlingkugeln wie Schüsse in meinem Nervensystem explodierte, und ich stahl mich mit Kurt, den ich hinter mir herzog, hinweg, Richtung Merheimer Straße, während er gackernd ins Nippeser Tälchen zurückzeigte und rief, sie suchten den Kinderschänder noch immer.

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