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Vorfreude auf Damenbesuch

 

Gebell von drinnen, als ich den Schlüssel ins Schloß stecke. Daß ein Hund in der Wohnung ist, hat man mir nicht gesagt. Ängstlich stehe ich im Treppenhaus. Das Gebell wird immer wilder. Der Hund scheint sich gegen die Tür zu werfen. Seine Krallen kratzen am Holz.

         Hilft nichts – ich muß rein. Vorsichtig öffne ich die Tür einen Spalt, durch den ich den Hund beschwichtigen will. Doch der ist plötzlich verschwunden. Sein Gebell kommt jetzt aus einem hinteren Raum, vermischt mit einer mürrischen Stimme.

         Ich drücke mich in den Korridor. Ein kleiner Schatten huscht auf mich zu. Eine Katze, erkenne ich erleichtert am Miauen. Aufdringlich streift sie mir um die Beine. Als ich sie streicheln will, schreckt sie zurück, bleibt aber schnurrend, mit funkelnden Augen, in der Nähe.

         Widerstrebend gehe ich Richtung Bellen. Die Stimme schimpft dagegen an. Dann klatscht es. Das Kläffen geht in ein Winseln über. Ich halte meine Tasche wie einen Schild vor mir und hebe abwehrbereit die Luftpumpe, die ich nie am Rad lasse: sonst ist sie hinterher todsicher weg.

         „Hallo, ich bin die Vertretung!“ rufe ich und folge dem heiseren Schimpfen, durch den dunklen Flur, dann rechts in ein Speisezimmer. Dahinter, durch eine andere offene Tür, sehe ich Herrn Schlüter: schräg zusammengesunken, hat er sich im zerwühlten Bett aufgerichtet, eine Pudelmütze über den Kopf gezogen und einen rotweißgestreiften FC-Köln-Schal um den Hals geschlungen. Eine Hand hat er im zottigen Fell des Hundes verkrallt, der halb unter dem Bett liegt, angespannt, und drohend knurrt.

         Ich stelle mich als Mitarbeiter des ambulanten Pflegedienstes vor. Der Mann nickt, und der Bommel auf seiner Mütze fliegt vor und zurück. Er nuschelt etwas. Ich verstehe ihn nicht, frage nach. Da verlegt er sich aufs Gestikulieren, das er mit abgehackten Lauten begleitet – aha: Aphasie.

         Ich soll wohl etwas aus dem Schrank holen. Auf dem Weg dorthin, stolpere ich über die Katze, die sich unbemerkt zwischen meine Beine geschlichen hat und nun fauchend zurückfährt. Ist ja gut – habe mich mindestens ebenso erschrocken. Ich lege die Hand auf verschiedene Sachen. Herr Schlüter nickt oder schüttelt den Kopf. So verständigen wir uns.

         Was will er denn mit der Einkaufstüte? Ein Laib Brot ist darin. Herr Schlüter hebt zwei Finger und deutet auf sich. Dann hebt er nur den Daumen und zeigt auf den Hund, der jetzt den Kopf friedlich auf seinen Vorderpfoten liegen hat. Er läßt die Zunge aus dem Maul baumeln und blinzelt träge zu mir hoch.

         Ich verstehe: er Marmelade, der Hund Wurst aufs Brot und die Katze kriegt Futter aus einer Konservendose. Gähnend wälzt sich Herr Schlüter zur Wand. Besorgt schaue ich den Hund an, den er nicht mehr festhält, der sich aber nicht vom Fleck rührt. Vielmehr schließt er die Augen wie sein Herrchen, der laut zu schnarchen beginnt.

         Ich suche in der fremden, verwahrlosten Wohnung die Küche. Muß mich dort erst mal zurechtfinden. Ruckzuck frißt die Katze ihren Napf leer. Sie beobachtet mich vom Kühlschrank aus, wie ich das Frühstück zubereite. Gierig schnappt sie nach einem Wurststück, das ich ihr zuwerfe: wenn das der Hund wüßte! Sie leckt sich das Maul und lauert mit vibrierenden Schnurrhaaren aufs nächste – nichts da!

         „Herr Schlüter, das Frühstück ist fertig!“ rufe ich, aber der Mann schnarcht weiter. Der Hund knurrt wieder. Bellend kommt er hereingeschossen. Schnell werfe ich ihm ein Stück Wurstbrot hin. Er schnuppert – schwups, ist der Happen verschwunden. Schwanzwedeln – na, ob wir wohl noch Freunde werden?

         „Da“, sagt Herr Schlüter im Nebenzimmer, in das ich durch die Tür hineinblicken kann, und zeigt auf den Schlafzimmerschrank. Was soll da sein? Der Mann nuschelt etwas Unverständliches. Ob er sich erst anziehen wolle, frage ich. Er nickt – sein Bommel fliegt vor und zurück. Ich gehe zu ihm. Der Hund folgt mir knurrend – schreiend wirft Herr Schlüter eins von seinen vielen Kissen nach dem Tier. Es trollt sich mit eingezogener Rute.

         „Welches Hemd?“

         Egal, gibt Herr Schlüter mit einer Handbewegung zu verstehen. Er streckt ein Bein mit einem schmutzstarrenden Fuß heraus, zupft an seiner langen Unterhose, und ich nehme eine frische aus dem Fach.

         Grunzend wühlt er sich unter dem dicken Federbett hervor, boxt und tritt es weg. Er kippt ständig um, wie ein krängendes Schiff. Endlich hockt er mit Schlagseite auf der Bettkante. Seine Füße tappen nach den Puschen. Da muß er so heftig niesen, daß es ihn zurück in die Kissen wirft. Er rappelt sich auf. Schnodder hängt ihm herunter. Seine gesunde Hand, mit der er sich abgestützt hat, tastet nach einem Taschentuch, findet aber keins. Obwohl er geräuschvoll die Nase hochzieht, wird der pendelnde Schleimfaden immer länger. Er droht wieder die Balance zu verlieren. Kurzentschlossen schneuzt er sich in die Hand, die er dann haltsuchend am Laken abwischt.

         Eins-zwei, schwingt er sich nach vorn auf die Beine, schafft es aber nicht, sie durchzudrücken, und fällt zurück aufs Bett. Er nimmt den am Nachtschränkchen lehnenden Krückstock in die gesunde Hand, mit der er sich beim nächsten Anlauf so angestrengt hochstemmt, daß der Arm zu zittern anfängt. Ich will ihm helfen. Er knurrt mich weg, kämpft sich aus eigener Kraft in die Höhe. Da steht er, zwar etwas wackelig und schief – aber er steht!

         Schnaufend setzt er sich in Bewegung. Ich folge ihm mit den Waschsachen und der frischen Wäsche ins Bad. Herr Schlüter lehnt den Stock an die versiffte Toilette mit der hochgeklappten Brille, stellt sich davor und pinkelt. Leblos baumelt seine Linke herunter. Mit der Rechten hält er seinen Penis. Er läßt ihn los, als er zu schwanken beginnt, greift nach dem Stock. Urin spritzt umher. Sowie er das Gleichgewicht gefunden hat, stellt er den Stock wieder an den Toilettenrand und lenkt den Strahl zurück in die Porzellanschüssel.

         Herr Schlüter schüttelt die letzten Tropfen ab. Ich habe im Korridor gewartet und durch den Türspalt geguckt. Jetzt komme ich herein und will Wasser ins Waschbecken laufen lassen. Doch die Hähne sind abmontiert. Ich lange nach der Brausedüse von der Badewanne nebenan. Er sagt etwas, das im Geräusch der Wasserspülung untergeht. Ich zucke zum Zeichen, nichts verstanden zu haben, die Achseln und reguliere die Temperatur des ins Becken geleiteten Wassers. Er packt die auf dem Hocker abgelegten Sachen und schlurft ohne Stock hinaus. Ich hinterher. Unterwegs hebe ich einen verlorenen Strumpf und den rotweißgestreiften Schal auf: müßte auch mal gewaschen werden.

         Im Wohnzimmer legt Herr Schlüter die Wäsche verknubbelt auf den blubbernden Ölofen. Er läßt die Hosen auf seine Knöchel herunterrutschen, kann nicht darüber hinwegsteigen, und ich helfe ihm. Er ist mir beim Aufknöpfen des Hemdes behilflich. Darunter kommt ein Korsett zum Vorschein. Er reißt die Klettverschlüsse auf. Es poltert zu Boden. Dann versucht er sich das Unterhemd über den Kopf zu zerren. Geht nicht. Er verwickelt sich darin. Sein gelähmter Arm ragt steif wie ein Eisenbahnsignal da heraus in die Höhe. Ich ziehe ihm das Hemd mitsamt der Bommelmütze vom Kopf. Sein graues, verfilztes Haar steht wirr davon ab.

         Wieder bekommt er einen Niesanfall. Die laufende Nase wischt er sich mit dem kotverschmierten Schlüpfer ab, den ich vorhin auf die gestrige Expreß in einem Sessel geworfen habe. Dann tappt er nackt in die Küche und stopft die Unterhose in die Waschmaschine, die bereits mit Schmutzwäsche vollgepfropft ist. Er räumt das dreckige Geschirr aus der Spüle, pult Speisereste aus dem Abfluß, stöpselt ihn zu und läßt Wasser einlaufen.

Ich suche im anderen Zimmer nach Handtüchern und Waschlappen. Die Katze sitzt auf dem Couchtisch vor der umgekippten Milchdose und schlabbert die aussickernde Lache von der verstaubten Marmorplatte. Der Hund leckt die Marmelade von den Brotscheiben. Ich verjage die Katze und gehe, obwohl ich Schiß habe, drohend mit dem Korsett auf den Köter zu. Der knurrt, bleckt die Zähne – weicht winselnd zurück: na bitte!

In der Küche zeigt Herr Schlüter auf das auf Kippe stehende Fenster, durch das es kalt hereinzieht. Da es zu hoch ist, hole ich von nebenan einen Stuhl. Ich will nicht mit Schuhen aufs Polster treten, ziehe sie aus, steige darauf und schließe das Fenster. Als ich zurück in meine Schuhe schlüpfen will, merke ich, daß meine Strümpfe unangenehm an den Fußsohlen kleben – das Stuhlpolster ist ja ganz verschmiert!

Herr Schlüter steht mit gespreizten Beinen vor der Spüle, an deren Rand er sich mit der gesunden Hand festhält, nachdem er die kranke ins Wasser getaucht hat. Er streckt mir das Gesicht entgegen. Der Dreitagebart scheuert wie grobes Schmirgelpapier über den feuchten Lappen. Dann wasche ich den breiten Rücken, der von oben bis unten behaart ist, und trockne ihn gleich darauf ab, weil er sich mit einer Gänsehaut überzieht.

Wieder gähnt er und reißt den Mund auf: ruinöses Gebiß, dunkel angelaufene Stümpfe, karieszerfressen, und teilweise ragen sie nur noch als zersplitterte Überreste aus dem zerklüfteten Zahnfleisch. Schon glaube ich, er renkt sich den Kiefer aus, als das Gähnen in ein Niesen übergeht. Der Mund, wie von der speichelsprühenden Explosion wieder eingerenkt, schnappt zu, und der unvermeidliche Schnodder läuft ihm aus der Nase, die ich kurzerhand mit dem Lappen abwische.

Seine verfettete Brust mit dem Busenansatz hätte etwas ausgesprochen Weibliches, wäre sie nicht von grauer Wolle überwuchert, die sich bis zum noch dichteren Gestrüpp zwischen den Schenkeln herunterzieht, über einen aufgetriebenen, seltsam deformierten Bauch. Er mündet an seiner Unterseite in einen knorpeligen Auswuchs, der wie ein abgeplattetes Horn die Scham überdacht.

Da lasse er keinen ran, nuschelt Herr Schlüter und meint seinen Intimbereich. Er nimmt mir den Lappen ab, der immer noch glitschig von seinem Nasenschleim ist, und fährt sich damit über die Geschlechtsteile, nur flüchtig, ohne die verschwitzten Hautfalten auszuwischen oder sich die Vorhaut zurückzuziehen. Die Pospalte, die, nach der Kotspur im Schlüpfer zu schließen, gründlich gesäubert werden müßte, übergeht er. Ich übernehme den Waschlappen, spüle ihn aus und will ihn da waschen, doch er dreht sich abrupt um, drückt sein Gesäß gegen den Küchenschrank und trocknet sich vorne herum ab. Also wende ich mich seinen Beinen zu. Aber er entzieht sich mir erneut, macht einen Bogen um mich verdutzt vor ihm Hockenden und watschelt ins Wohnzimmer, wobei er sich an den Möbeln in seiner Reichweite festhält und am Türpfosten abstützt.

Er nimmt die angewärmte Wäsche vom Ofen und schaltet den Fernseher mit der Fernbedienung an. Auf dem Bildschirm erscheint eine Werbung für Bikinis. Ich will ihm gerade das Unterhemd überziehen, werde aber abgewehrt. Gebannt schaut Herr Schlüter auf wippende Brüste im knappen Stoff. Die Kamera fährt zurück. Ein Mädchen wirft sich in die Brandung. Nasses Badezeug spannt sich so eng um die Haut, als sei es daraufgemalt. Neue Werbung – jetzt darf ich ihm ins Unterhemd helfen. Darüber wird das Korsett angelegt. Für den knorpeligen Auswuchs vorne hat es eine Extraausbuchtung. Es paßt wie angegossen. Herr Schlüter hält es fest, rückt es sich an der Hüfte noch etwas zurecht und macht mich auf eine Hemdfalte aufmerksam, die ich herausstreiche, ehe ich die Klettverschlüsse zuziehe.

Ich knöpfe ihm das Oberhemd zu. Er setzt sich auf den Couchtisch und zeigt auf eine Salbe, dann auf seine Knie. Ich schmiere sie ein. Anschließend streife ich ihm den Schlüpfer und die lange Unterhose über die Beine, ziehe ihm löchrige Strümpfe an und halte ihm die fleckige Anzugshose so hin, daß er bequem hineinsteigen kann. Doch er tritt sie hastig weg, fährt in die Puschen und wackelt eilig aus dem Zimmer.

Ich folge ihm. In der Küche strullt er ins Waschwasser im Spülbecken und gibt zu verstehen, daß er es bis zum Klo nicht mehr geschafft hätte. Dann zieht er sich die Hosen hoch. Vorne bildet sich ein Fleck, der immer größer wird, alles durchnäßt. Ich ziehe den Stöpsel und fische den Lappen heraus.

Mit frischen Unterhosen komme ich ins Wohnzimmer, wo Herr Schlüter wieder auf dem Couchtisch sitzt und ein Brotstück ißt, von dem der Hund die Marmelade heruntergeleckt hat. Er guckt in die Glotze und winkt ab, als ich ihm die sauberen Hosen zeige. Neue Marmelade will er auch nicht aufs Brot. Er zeigt auf die Thermoskanne. Ich schraube sie auf und gieße dampfenden Kaffee in die Tasse, in der schon Milch ist. Er kippt ihn gierig herunter und prustet – hat sich den Mund verbrannt.

Brummend steht er auf, langt nach der Anzugshose auf dem Sessel, wirft sie in die Ecke neben der Couch, stellt sich daneben und hält sich an der Lehne fest. Ich bücke mich nach der Hose, halte sie ihm hin, und als er hineinschlüpfen will, klingelt das Telefon. Er schüttelt sie ab, wobei sich ein Hosenträger an seinem Fuß verfängt, und schleift sie mit sich in den Korridor. Dort nimmt er den Hörer ab und nuschelt in die Muschel.

Der Anruf zieht sich hin. Ich stelle schon mal die Tabletten zurecht und beginne aufzuräumen. Da kommt Herr Schlüter, die Hose im Schlepptau, mit dem Telefonbuch zurück. Er legt es auf den Tisch, blättert, bis er die Telegrammseite gefunden hat, und zeigt auf das Schmuckblatt: Gelbe Rosen auf Seide.

Das wolle er mit Musikuntermalung seiner Freundin schicken, macht er mir mit seiner undeutlichen Aussprache klar, die ich schon etwas besser verstehe. Ich befreie ihn vom Hosenträger, und er läßt sich in die Hose helfen. Sie habe heute Geburtstag, habe er vorhin beim Telefonieren erfahren, sagt er verwaschen. Sie hole ihn heute mit dem Auto ab, dann führen sie zum Rhein, Seilbahn über die Zoobrücke, Café. Er streift sich die Träger über und schlägt meine Hand weg, die sich an seinem Hosenschlitz zu schaffen macht.

Er schlurft in den Korridor. Nach einer Weile geht die Toilettenspülung. Dann kommt er mit dem Telefon an einer langen Strippe wieder, stellt es hin und zieht sich den Reißverschluß zu. Wie oft muß er eigentlich noch pinkeln?

Ich soll ein Telegramm aufgeben. Zum Glück habe ich das schon mal gemacht. Herrn Schlüters Telefonnummer finde ich in meinem Notizbuch. Wie soll der Text lauten? Er zuckt mit den Schultern. Der Telefonist, dem ich die Nummer bereits durchgegeben habe, wird ungeduldig. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, sage ich aufs Geratewohl, „auf der Karte mit den gelben Rosen, und dazu die Happy-Birthday-Melodie.“

Herr Schlüter nickt und erhebt sich vom Couchtisch. Sein Hund gebärdet sich plötzlich wie wild und rennt ihn fast um. Er schlägt mit der gesunden Hand nach ihm, und das Tier leckt sie unterwürfig.

Im Schlafzimmer wühlt er das Unterste zuoberst und kramt eine abgegriffene Brieftasche zutage. Aus der zieht er ein Farbfoto und zeigt es mir. Eine stark geschminkte Frau in mittleren Jahren. Er macht eine obszöne Geste und grinst. Das glaube ich nicht. Er nickt. Ich gebe ihm das Foto zurück: seine Freundin – macht sie es für Geld?

Er verstaut die Brieftasche in der Innenseite seines schmuddeligen Lodenmantels, in den er mit dem gesunden Arm hineinschlüpft. Ich helfe ihm, mache die Knöpfe zu, von denen zwei fehlen, und reiche ihm den Stock. Gefolgt vom schwanzwedelnden, ungeduldig winselnden Hund, schlurft er in den Korridor, setzt sich einen speckigen Hut auf und verläßt die Wohnung, ohne sich noch einmal umzublicken.

Die Katze sitzt im zerwühlten Bett. Ich verscheuche sie. Durchs Fenster sehe ich Herrn Schlüter, den Stock in der gesunden Hand, die Leine um den schlenkernden geschlungen. Er schwankt bedrohlich, wenn der Hund vorprescht und er ihn wütend zurückreißt.

Ich mache sauber. Laken mit Kotspuren. Vollgerotzte Taschentücher. Waschmaschine an. Im Bad der stechende Gestank vom Katzenklo. Pfützen um die Toilette herum. Vorsintflutlicher Staubsauger, total verstopft. Abgewetzter, eselsohriger Teppich. Brandspuren im Bodenbelag des Speisezimmers, wie von ausgetretenen Zigaretten.

Klingeln. Herr Schlüter kommt mit der heutigen Expreß zurück. Der Hund pest durch den Korridor. Seine Leine verfängt sich irgendwo, und er überschlägt sich, stranguliert sich fast: blödes Vieh – schnappt nach meiner Hand, die ihn befreien will. Wie er sich kratzt. Hat er Flöhe?

Ich kümmere mich um die Wäsche, hole sie aus der Waschmaschine, stopfe sie in den Trockner und bügele sie dann: alles löchrig, fleckig, grau angelaufen, das reinste Lumpenzeug. Herr Schlüter sitzt vorm Fernseher und guckt Bonanza.

Sturmklingeln. Der Hund, im Sessel zusammengerollt, springt bellend zur Tür. Dort gibt ein Mann einen riesigen Rosenstrauß ab und verschwindet wieder. Herr Schlüter hat ihn wohl beim Gassigehen im Blumenladen um die Ecke bestellt – muß ein Vermögen gekostet haben. Er zerrt den Eimer aus dem Kabuff. Ich habe doch schon gewischt. Quatsch, ist für die Rosen.

„Kann ich noch was tun?“

Herr Schlüter schüttelt den Kopf und rasiert sich mit einem alten Braunrasierer.

„Viel Spaß beim Damenbesuch heute.“

Er strahlt in wirklicher Vorfreude und rasiert sich weiter, ohne den Blick von der Mattscheibe zu wenden. Ich packe den Abfallsack und schleppe ihn mit hinaus. Im Korridor leuchten die Rosen so rot wie die Lippen der Frau auf dem Foto.


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