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Schlachtgraus

Futter wurde in die steinerne Freßrinne vor unserem Stallgitter gestreut, durch das wir unseren Kopf steckten, um, hungrig wie wir waren, fressen zu können. Da wurde mit einem Hebel die Zentralverriegelung aktiviert. Unser Hals steckte in der Stahlfalle zuschnappender Stangen, und wir konnten den Schädel nicht mehr zurückziehen. Ängstlich schwangen wir ihn hin und her, würgten und resignierten.

     Ein Mann kam mit einem Knüppel und schlug uns auf die Stirn zwischen den Hörnern. Schockiert wanden wir uns. Plötzlich schnappte die Verriegelung zurück, und wir fuhren stolpernd nach hinten in die Stallbox, knickten ein. Da sprang das Gitter auf, und der Mann mit dem Stock setzte uns nach und prügelte auf uns ein. Brüllend vor Schmerz wuchteten wir uns wieder auf die Beine und suchten ihm zu entkommen.

     Es gab nur einen Ausweg: hinten links. Benommen drehten wir uns um und flohen auf die Helligkeit zu, während der Mann uns folgte und auf uns einschlug. Der Ausgang ging auf eine hölzerne Rampe, die direkt in einen Viehtransporter führte. Uns war klar, was das bedeutete, und wir wollten, kaum mit den Hörnern gegen die Hinterwand gerammt, wieder hinaus, rutschten beim Umdrehen aus, wobei sich einer meiner Genossen ein Bein brach, und stürzten zurück auf die Rampe. Aber da stand nun ein ganzer Pulk stockschwingender Frauen und Männer, die uns schreiend zurückscheuchten. Außerdem trieben sie weitere Stiere zu uns herein, so daß die hinausdrängenden einen grotesken Hörnerkampf mit den hereingaloppierenden begannen, die von hinten mit Forkenstichen vorwärtsgetrieben wurden. Hopp-hopp-Gebrüll von draußen und heiseres Röhren von drinnen. Die Männer und Frauen draußen packten die Stiere an den Schwänzen, ringelten sie zusammen und hielten sie so eisern fest, daß sie sich nicht mehr umdrehen konnten, während sie ihnen Bolzen gegen die Hinterteile stießen und Elektroschocks damit verabreichten. Die Hereingejagten gerieten so in Panik, daß sie die Hinauswollenden einfach zurückdrängten und überrannten. Als die letzten im Wagen waren, drehten sie sich wie ihre Vorgänger um und versuchten die Flucht wieder hinaus. Erneutes Schwingen von Stöcken und brutales Schreien.

Einigen von uns war das egal. Sie suchten mit blutüberströmten Schädeln die Barriere der Fuchtelnden dennoch zu durchbrechen – aber die hatten plötzlich Mistgabeln in den Fäusten und stachen damit rücksichtslos in ihre Gesichter. Ich sah, wie einem Stier das Auge aufplatzte und gallertartige Flüssigkeit herausspritzte. Einem anderen troff Blut, vermischt mit zähem Rotz, vom Maul, und er versuchte muhend die Rampe im Rückwärtsgang hochzusteigen, brach jedoch auf der Hinterhand zusammen, mit dampfenden, zitternden Flanken, und gab auf, zuckte nur noch mit den Ohren. Wütend hieben die Männer und Frauen auf ihn ein, und sein riesiger Körper, ein einziger Muskelberg, vibrierte unter den Schlägen, die ein abscheuliches Klatschen auf seinem reglosen Leib verursachten.

     Schließlich wuchteten sie die Rampe mit einer Traktorgabel, die sie unter die äußerste Kante geschoben hatten, nach oben, und der halbbewußtlose Stier rutschte schlackernd zu uns in die sich verfinsternde Enge und schlug dumpf zwischen uns auf. Die massiven Bohlen, eben noch unser Laufsteg in diese Hölle, schlossen sich krachend.

Im Dunkel ein wildes Stampfen, Muhen und Gerangel. Der riesige Transporter ächzte und dröhnte, drohte aus dem Gleichgewicht gestoßen zu werden. Da, greller Lichteinfall von rechts und links, der uns blendete und so perplex machte, daß wir für Sekundenbruchteile erstarrten, die unsere Häscher dazu nutzten, uns Stricke wie Lassos über die Schädel zu werfen und uns daran nach vorn gegen die Stahlgitter zu zerren, die die Außenwände des Wagens schützten und an denen sie uns an extra dafür vorgesehenen Holmen und Löchern festbanden. Einige versuchten sich aufzubäumen und wurden brutal mit Stöcken niedergeknüppelt. So eingekeilt, Leib an Leib hin- und hergeworfen in den Kurven, beim Bremsen und Beschleunigen während stockfinsterer Fahrt, die endlos dauerte und manchen von uns das Leben kostete, wurden wir zu unserem Bestimmungsort gebracht.

     Auch wenn uns klar war, daß Furchtbares folgen würde, waren wir doch fast erleichtert, als der Transporter zum Stehen kam, die Rampe donnernd herunterging und unsere Stricke vom Gestänge losgebunden wurden. Die Luft im Inneren war so stickig, daß wir die Wahl zwischen Ersticken und dem hatten, was uns draußen erwartete. Und doch, kaum war der Ammoniak-, Dung-, Angst- und Schweißgeruch etwas weniger unerträglich geworden und wir zu einem Mindestmaß an lebensnotwendigem Sauerstoff gekommen, den wir mit gierigen Nüstern einsogen, überkam uns die alte Panik, die uns nun zurückdrängte ins Wageninnere und statt einer Stampede eine massenhafte Erstarrung in uns auslöste. Wie zuvor keiner hineingewollt hatte, wollte jetzt keiner hinaus, am wenigsten die Älteren und Erfahreneren von uns, und so kam es, daß die Jüngeren und Schwächeren, die erfreut über die frische Luft und das sonnige Licht waren, leicht nach vorne geschubst werden konnten, in die erste Reihe. Dort warteten schon andere Männer und Frauen, ergriffen die lose baumelnden Stricke und zogen ruckend daran.

     Erschrocken blökten die Kälber auf, stemmten die Vorderbeine gegen das Fallreep, stolperten über die quer aufgenagelten Trittleisten, strauchelten, rafften sich auf und waren, vom eigenen Gewicht vorwärtsgestoßen, schon im Wackelschritt in Bewegung, mitgeschleift von den Männern, die wegen ihrer größeren Körperkraft wohl dies Amt übernahmen, während die Frauen ihnen mit Schlägen und Rufen seitlich und hinten assistierten.

     Ein Mann mit Hut, darauf ein wedelnder Gamsbart, schnappte sich den Strick eines schwarzweiß gescheckten Kalbs, das bockte, sprang ihm zur Seite, schob es diagonal vorwärts, und da er stärker war als das Jungtier, konnte dieses nicht standhalten, sondern wurde gestoßen, auf die Diagonale zu, wo es völlig den Tritt verlor und, um nicht zu stürzen, einige Sprünge hinab machte. Der Mann stieß es von hinten, hielt es gleichzeitig am Strick, wie einen widerspenstigen Hund an der Leine, damit es nicht in eine andere Richtung ausbrechen konnte, und hatte es gleichzeitig hinten am hochgerissenen Schwanz gepackt, womit er es ebenfalls dirigierte – links herum. Halt, und er zurrte das Seil fest, als das Kalb ganz um sich selbst in einer Linksdrehung zurück in den Transporter wollte, zerrte es gleichzeitig am Ohr mit dem gelben Schild daran und trug es fast um die nächste rechte Ecke. Das Tier brach in die Knie der Hinterbeine, doch der Mann hievte es am Schwanz zurück in den Stand, drehte den bis zum Gehtnichtmehr, so daß es weiter taumelte, um dem Schmerz zu entgehen, und bog rechts ein in den Gang zwischen Stahltür und weißgekachelter Wand, wo der Mann es vorwärts schubste und trat.

     Dann sprang er schnell vor das Tier, das sich jetzt mit allen vieren gegen den Boden stemmte, und schleifte es von vorn, rückwärtsgehend, am Seil hinter sich her, das er nun ganz kurz gerafft hielt, um beide Hände geschlungen, die er, mit angezogenen Armen, gegen seine Brust drückte. Fluchend ruckte und riß er. Das röchelnde Tier gab es auf, sich dagegen zu sträuben, setzte sich wieder in Trab, wobei der Mann fast rückwärts zu Boden geschlagen wäre, und das Kalb nutzte natürlich nicht seinen einzigen hilflosen Moment, ihn unter die Hufe zu stampfen.

 

Wir wurden in einen halbhohen Gang aus Beton getrieben, der so eng war, daß wir nur hintereinander herlaufen konnten. Die Seitenwände reichten den draußen stehenden Männern in Helm und Gummihose bis zur Brust. Sie hatten angespitzte Stöcke, mit denen sie uns weniger schlugen als vielmehr in die Flanken stießen, um uns voranzutreiben.

     Einige Stiere vor mir hob einer den Kopf über das doppelte Stahlgeländer, das links und rechts auf der Betonwand befestigt war, und hätte fast einen der Quäler neben sich mit seinem Horn erwischt. Der Stier mußte auf seinen Vordermann gesprungen sein. Jedenfalls ragte er weit über die anderen hinaus und schwenkte brüllend sein mächtiges Haupt mit den blutverkrusteten Stirnlocken.

Die Männer wichen zurück und holten lange Spieße, mit denen sie aus sicherer Entfernung nach dem Widerspenstigen schlugen. Der ließ sich nicht beirren und blickte wild um sich. Da stießen sie seinem Vorgänger, den er wie beim Geschlechtsakt mit den Vorderläufen umklammert hielt, in die Seite. Der machte einen Satz vorwärts, und sein Hintermann rutschte von seiner Kruppe. Nun hatte er keine Bewegungsfreiheit mehr. Seine Hörner schlugen gegen die Wände links und rechts.

Er wollte wieder hoch, aber die Männer schossen herbei und schoben Stangen zwischen die Doppelgeländer auf beiden Seiten über ihm, die ihn an einem neuerlichen Aufbäumen hinderten: bei jedem Versuch hielten ihn die in den Geländern klirrenden Stangen wie Käfiggitter nieder. Sie brachen dem immer heftiger Tobenden fast das Rückgrat, bis er niedersank und den ganzen Vorwärtsmarsch nun erst recht blockierte.

     Die Männer trieben die Tiere vor ihm den Gang hinauf, um wenigstens von dort aus freie Bahn zu haben. Dann sprang ein Verwegener über das Geländer hinein und näherte sich vorsichtig dem Niedergebrochenen, der nun versuchte, auf die Beine zu kommen und ihn auf die Hörner zu nehmen. Doch er sackte wieder zu Boden und röhrte nur noch, mit blutunterlaufenen Augen und rotem Schaum vor dem gebleckten Maul.

Der Mann warf ihm eine Kette, die ihm gereicht worden war, über die Hörner und schwang sich schnell über die Mauer hinaus auf die andere Seite. Der Stier versuchte vergeblich, die Kette abzuschütteln, deren Enden nun an einem hydraulischen Kran an Schienen unter der Decke befestigt wurden. Jetzt wurde der Stier am Schädel in die Höhe gezogen, bis er auf die Hinterläufe zu stehen kam und mit den Vorderhufen im Leeren strampelte. Er wurde langsam heruntergelassen und stand nun wackelig auf allen vieren, wäre aber wieder zusammengebrochen, wenn die Kette ihn nicht gehalten hätte.

Jetzt wurde der Kran auf den Schienen unter der Decke vorwärtsbewegt und zog den halb Ohnmächtigen im Betongang mit. Über ihm wurden im Doppelgeländer vorsichtshalber weiter die Stangen von Männern gehalten, die ihn begleiteten und ein neues Aufbäumen unmöglich machten. Aber der Stier hatte eh nicht mehr die Kraft dazu und torkelte mit zittrigen Flanken auf die monströse Maschine zu, die am Ende des endlosen Ganges ihr Riesenmaul aufsperrte.

Da der Gang einen rechtwinkeligen Knick machte, konnte ich, weit hinter dem mörderischen Manöver, alles genau beobachten, auch die Maschine von der Seite betrachten, soweit das im Halbdämmer möglich war. Es war ein runder, schwarzer Koloß, der an das Vorderteil einer alten Dampflok erinnerte, nur viel größer, von zahllosen Leitungen und Stangen umgeben. Auch erinnerte er an einen Ofen, innen mit einem Trommelbauch ausgestattet, in den das erste Tier in der Schlange mit Elektrobolzen hineingedrängt wurde, und hinter ihm ging eine stählerne Falltür herunter.

Vorne guckte dann sein Kopf aus der Maschine heraus, deren Stahlmagen sich drinnen nun wohl zusammenzog und den Eingesperrten bis zur Unbeweglichkeit festklemmte, der umso panischer seinen Kopf schüttelte, was besonders gräßlich auf uns Hintere wirkte. Plötzlich zischte und dampfte es, als würde sein ganzer Leib aus etlichen Düsen mit heißem Wasser abgesprüht – jedenfalls roch es nach verbrühtem Fell, und der herausragende Kopf brüllte wie am Spieß.

Zwei Männer in monströsen Gummischürzen legten vor der Maschine diverse Werkzeuge bereit, unberührt von dem verzweifelten Muhen des Tiers. Einer von ihnen drückte auf einen Hebel, und die Maschine begann sich mit ihrem Inhalt wie die Trommel in einem Revolver um die eigene Achse zu drehen, während der andere Mann einen scharfstrahligen Wasserwerfer anstellte, in dessen zischendem Sprühen Regenbogenfarben glitzerten. Das Gebrüll des Tiers, das jetzt Kopf stand, hallte von den Wänden wider.

Es wurde mehrmals um sich selbst gedreht, und der Mann vor ihm brauste es ab, hielt die Düse überall hin, als wollte er den Kopf rundum desinfizieren. Von all dem wie in Trance, bewegte der eben noch heftig geschlenkerte Schädel sich bald nicht mehr, sondern schlackerte nur noch wie benommen, wurde jetzt von der eigenen Schwerkraft geschlenkert.

Der andere Mann hielt ihm jetzt den Elektroschocker an die empfindliche Nase, als wollte er das Tier in der Rückenlage endgültig betäuben, das auch prompt noch mal den herabhängenden Schädel anhob, aufmuhte und endgültig verstummte. Der Mann mit der Düse entfernte sich und ein anderer näherte sich mit einem armlangen Messer. Er stellte sich neben den rückwärts herabbaumelnden Stierkopf und ratschte in die wehrlos ihm dargebotene Kehle.

Eine ungeheure Blutfontäne stieg fächerförmig auf und schwappte in ein viereckiges, erhabenes Abflußgitter am Boden, während der Mann ruhig abwartete, bis es vorbei war. Dann stieg er mit dem Messer aufs Gitter, stellte sich vor den Kopf mit der klaffenden Wunde am Hals und erweiterte sie, trennte beides weit, aber nicht vollständig voneinander. Neues Blut, diesmal flutend wie ein abschüssiger Bach, floß in Wellen heraus und versiegte schließlich. Der Mann hackte diesmal mit kleineren Messern brutal in die Brust unterhalb der gähnenden Halswunde, schlitzte sie auf, wahrscheinlich um restliche Adern zu öffnen und möglichst alles herausbluten zu lassen, riß dabei auch Innereien heraus, zog sie mit der Linken ans Licht, während er mit der Rechten im Fleisch und Gekröse herumschnitt.

Ein anderer im Hintergrund betätigte den Hebel, und die Trommel bewegte sich in einer Vierteldrehung nach links, mit dem abgeknickten, blutüberströmten Kopf, dessen Maul offenstand wie zu einem grausigen Grinsen. Wieder kam der mit der Düse und spritzte alles ab. Dann wurde die Trommel weiter gedreht, mehrmals um sich selbst, und immer wieder, je nach der Lage des Leibes, schossen Blutstrahlen bis gegen die Wand.

Der nächste Stier war während des Aufschlitzens seiner Kehle noch lebendig. Jedenfalls hob und senkte er den Schädel, während die Trommel rotierte und ein Blutstrahl wie eine rote Krawatte an seinem Hals flatterte. Dabei riß er die Lippen auf und spitzte sie wie zu einem Kuß in die Luft, die erfüllt war von seinem Röcheln, das er statt Gebrüll nur noch hervorstoßen konnte.

Obwohl er noch lebte, rissen die Männer Blutbrocken aus seinem aufgeschnittenen Leib und warfen sie in bereitstehende Plastikeimer. Schließlich wurde die Trommel gedreht und mit ihrer Klappe über dem flachen Stahlbottich am Boden zum Halten gebracht. Sie schnappte auf, und der schwere Körper stürzte heraus, glitschte mit Wucht über den blutigen Boden. Er drehte sich und blieb auf der anderen Seite vibrierend liegen.

Aber da erwachte er wieder, wand sich wild hin und her, und seine Innereien an der Schnittstelle pendelten mit. Kurz brüllte er auf, dann rutschte er zurück auf die Seite. Ein Gestiefelter watete im Blutsumpf herbei und schloß ihm eine Kette um ein Hinterbein. Sie war mit dem Hebekran oben verbunden, der ihn nun hochzog und fortschaffte in eine andere Halle, zu der mir der Einblick verstellt war.

 

Soeben ist mein Vordermann hinter der stählernen Falltür am Ende des Betongangs verschwunden. Der Kot läuft mir jauchedünn aus dem After, genau wie vorhin bei dem Stier vor mir, dessen Gebrüll mir jetzt durch Mark und Bein geht.

Gleich bin ich dran.


http://de.youtube.com/watch?v=ch84p4WwXLs
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