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Reiten und reiten

Da ist es, sagte ich und zeigte aus dem Straßenbahnfenster, auf die Laubwand jenseits der anderen Straßenseite, wo nichts weiter zu sehen war. Detlef, mein dicker, gehfauler Schützling, begriff sofort, daß es von der Haltestelle bis zu dem Ort, den ich bezeichnet hatte, ziemlich weit weg war.

Ich hatte dann auch die größte Mühe, ihn zum Losgehen zu bewegen, und versuchte die Entfernung herunterzuspielen. Aber der Junge war ja nicht blöd und trödelte und quengelte. Er hockte sich an den Straßenrand und hatte keinen Bock mehr auf den beschissenen Ponyhof. Er wollte zurück in die Stadt, Nientendo in der Spielzeugabteilung bei Hertie spielen, und ließ sich auch nicht mit einem Schokoriegel ködern, den ich ihm hinhielt – nee, er schlug vor, ein Taxi zu bestellen.

Sonst noch Wünsche? rief ich über die mittlerweile hundert Meter Abstand zwischen uns hinweg und ging weiter in der Hoffnung, er komme schon aus lauter Angst, hier in der Fremde verlorenzugehen, hinter mir hergezockelt. Er machte es tatsächlich, heulend vor Wut, und ich empfand eine gewisse Genugtuung. Auch wenn ich deswegen Gewissensbisse hatte: ich verabscheute den fetten Jungen und versteckte das hinter einer Maske aus Freundlichkeit. Auch gab ich mich dauernd spendabel: hier eine Mini-Pizza, dort einen Hamburger – der Junge stopfte alles ohne Dankeschön in sich hinein und wollte dann immer noch mehr. Das machte mich wütend. Außerdem fürchtete ich, er könnte kotzen oder Dünnschiß kriegen: einerseits gönnte ich ihm das, andererseits bemitleidete ich diesen armen Freßsack, den seine Schulkameraden, mit denen er so gerne spielen wollte, dauernd verdroschen. Das machte wiederum ihn zum rücksichtslosen Schläger, und so haßten ihn alle nur noch mehr.

Er mußte auf dem Schulweg von einem Erwachsenen begleitet werden, da er sonst halb totgeprügelt worden wäre. Doch ich bedauerte ihn nicht wegen seiner blauen Flecken und Schrammen, auf die er sogar stolz war, sondern weil er gar nichts Liebenswertes an sich hatte, ein einziger Kotzbrocken war, für jeden eine Zumutung, sogar für mich, obwohl ich als sein Betreuer nicht schlecht an ihm verdiente und durch ihn freien Eintritt zu allen möglichen Veranstaltungen hatte: Zirkus, Zoo, Rheinfahrt, Schwimmbad oder dieser Ponyhof. Allerdings passierte es mir oft, daß ich dann etwa im Schwimmbecken mit wildfremden Kindern herumtollte, während Detlef abseits mit verkniffenen Lippen gegen ein Heulen ankämpfte, sich auf den Hosenboden hockte, etwas Süßes in sich hineinmampfte und jeden Versuch, ihn ins Spiel einzubeziehen, störrisch abwies. Zuletzt brüllte er mit hochrotem Kopf, boxte ohnmächtig und haßverzerrt um sich, und ich sah mich genötigt, von den anderen Kindern abzulassen, die auch ohne uns ihren Spaß hatten.

Auch jetzt, auf dem Weg zum Ponyhof, erwartete ich den altbekannten Frust, während ich ihn aus der Ferne beobachtete, wie er trödelte, die Autobahnbrücke erreichte, Grasbüschel ausrupfte und herunterwarf, dann kleine Rollsplittsteinchen – schreiend rannte ich herbei und hätte am liebsten seine grinsende Visage geohrfeigt. Ich beherrschte mich aber und schob ihn bittend vor mir her: sonst hätte der Junge alles sabotiert, sich z.B. auf den Boden sacken lassen, und ich hätte den zentnerschweren Dicken nicht mehr von der Stelle gekriegt – im Gegensatz zu den anderen Zehnjährigen gestern im Schwimmbad. Ich dachte lächelnd daran, wie ich sie durch die Luft geschleudert hatte und sie johlend im Wasser aufgeklatscht waren. Aber da hatte Detlef mit mir Dinosaurier spielen wollen und eine Schlägerei mit einem der Jungen angefangen. Der, stärker und gewandter, hätte den zappelnden Fettkloß ersäuft, wenn ich ihn nicht beschützt hätte, und dadurch hatte ich zuletzt die Feindschaft beider Jungen auf mich gezogen.

Nun war ich froh, daß wir ohne weitere Zwischenfälle die Abbiegung zum Bauernhof erreichten, von wo aus uns ein stechender Jauchegestank entgegenschlug. Er kam von dem Schlammfeld mit den dreckstarrenden Schweinen, und dahinter, abgegrenzt von einem Holzzaun, begann das Gelände des Ponyhofs, ein städtisches Jugendprojekt.

 

 

Die eigenen Hemmungen überwindend, zog ich den Jungen aufs Grundstück, wo wir gleich von neugierigen Kindern umringt und gefragt wurden, was wir hier wollten und ob ich ein neuer Kollege von Horst sei. Der hatte, wie sich herausstellte, neben einer Sozialarbeiterin hier das Sagen: ein kleiner, drahtiger Mann mit wasserhellen, stechenden Augen, von dem ich mich, obwohl gleichaltrig, in die Defensive gedrängt fühlte, als sei ich ein Eindringling im Revier dieses Platzhirschs. Jedenfalls schien er von den Kindern geliebt und bewundert zu werden, die alle Naselang angelaufen kamen und etwas fragten. Er scheuchte sie im Befehlston herum, rauh aber herzlich, schiß diesen zusammen und gab jenem einen freundlichen Knuff.

Ich registrierte das mit gemischten Gefühlen. Doch die Kinder verehrten Horst gerade wegen seiner herrischen Art – auch Detlef: der glotzte ihn fasziniert an, und das machte mich sogar ein wenig neidisch. In meinen windelweichen Versuchen, den Jungen mit Süßigkeiten, Bratwürsten oder Kinokarten für mich zu gewinnen, hatte ich es nie geschafft, von ihm auch nur halbwegs so bewundert zu werden wie spontan dieser wildfremde Kerl, der Feindseligkeit mir gegenüber ausstrahlte.

Verlegen, abseits von den Kindern, sagte ich mein Sprüchlein auf: ich sei der Betreuer von Detlef, einem verhaltensauffälligen Jungen aus sozial schwachen Verhältnissen, den ich im Auftrag des Jugendamts in seiner Freizeit begleite. Horst erwiderte barsch, diese Einrichtung sei offen für jedes Kind zwischen sieben und vierzehn; ich könne den Jungen heute abend wieder abholen. Ich dürfe Detlef nicht allein lassen, sagte ich hastig. Das sei er auch nicht, versetzt Horst scharf und zeigte auf die anderen Kinder. Ob es irgendwo eine Möglichkeit zum Kaffeetrinken gebe, wo ich solange warten könne, fragte ich eingeschüchtert. Außer Dreck, Wiesen und Felder gebe es hier nichts, erwiderte Horst grinsend: aber ich könne ja, wenn ich mir dazu nicht zu schade wäre, mithelfen; ihr Zivi sei krank, und heute müßten die Ställe ausgemistet werden; übrigens packten die Kinder hier mit an, ehe sie ausreiten würden, und das hänge davon ab, wie weit sie mit der Arbeit kämen; er könne also zwar Schufterei, aber kein anschließendes Vergnügen garantieren.

Oh weh, dachte ich und machte mich schon auf einen Wutanfall von Detlef gefaßt. Doch der nahm zu meinem Erstaunen ohne zu murren die Mistgabel entgegen, die Horst ihm in die Hand drückte, und verschwand mit einem Mädchen im nächstbesten Stall.

 

 

Das flache, längliche Gebäude war in mehrere Boxen unterteilt, in denen je drei oder vier Kinder arbeiteten, angeleitet von Inge, der Sozialarbeiterin. Die kehrte nicht wie Horst den Feldwebel heraus, sondern gab ihre Anweisungen in sanftem Tonfall, fast so, als bitte sie die Jungen und Mädchen um einen Gefallen.

Mir war das gleich sympathisch, überhaupt die ganze Frau. Sie war nicht mehr die Jüngste und hatte eine Spur zuviel Make-up aufgetragen. Dadurch wirkte sie eher älter als jünger, unterstrichen doch Rouge und Lidschatten das Welke ihrer Haut, ebenso die flammende Haarfarbe und der Fanfarenstoß ihrer grell geschminkten Lippen: ein Gesicht gleichsam auf der Kippe, wie ich es besonders mochte.

Sie war auch freundlich zu mir, flirtete fast, und ich fühlte mich als Mann geschmeichelt, gab ihr zu verstehen, daß sie mich ebenfalls anzog.

Bald taten mir schon die Gesichtsmuskeln weh vom dauernden Lächeln in ihre Richtung. Auch schmerzten mir Arme und Rücken von der Schubkarre, die ich, vollgeladen mit Mist, über den Hof schob, vorbei an den Karnickelställen, wo Kinder die verduckten Tiere liebkosten, und mit Schwung fuhr ich sie ein schmales Brett hinauf. Oben angelangt, leerte ich die Karre, indem ich sie nach hinten überkippte, und taumelte mit vor Anstrengung singenden Gliedern zurück.

Erschöpft, aber froh, mich beliebt machen zu können, ließ ich die Kinder in die Karre steigen und beförderte sie mit Karacho zurück zum Stall, wo Inge mir lachend versicherte, daß sie ohne mich heute aufgeschmissen gewesen wären. Sie bat mich, nach der nächsten Mistfuhre an der Scheune vorbeizufahren und einen oder zwei Strohballen mitzubringen.

Heidiwitzka, juckelte ich mit drei kreischenden Gören über den unebenen Boden und rammte den Heuberg. Die Kinder flogen kopfüber hinein, und mir klappte die Kinnlade herunter beim Anblick eines Mädchens, das bei unserer Ankunft aus seinem Versteck auffuhr. Es hatte ein Gesicht wie Milch und Honig, umrahmt von einem Haarhelm, der im einfallenden Licht wie ein Heiligenschein leuchtete – er strahlte nur so in seiner golden schimmernden Blondheit. In den Wangen entstanden und verschwanden Grübchen beim Kaugummikauen, und ebenmäßige Zähne blitzten auf. Plötzlich schwoll eine Blase an, bis sie zerplatzte, und eine lange Zunge leckte sie ab – ach, waren das Lippen!

Wir sollten Stroh für die Pferdeboxen holen, erklärte ich blöde. Flink und geschmeidig erklomm sie die Strohwand und trat vier Ballen herunter – warf sich selbst hinterher: hep, stand sie vor mir und reichte mir bis zur Schulter, obwohl ich mir selber viel kleiner als sie vorkam.

Sie musterte mich mit keckem Augenaufschlag und blies den blonden, ihre Wimpern kitzelnden Pony aus der Stirn. Mich wehte ein Pfefferminzgeruch an, den ich gierig einsog, während ich auch sonst nach Luft schnappte, stumm wie ein Fisch auf dem Trockenen, und die anderen Kinder kicherten schon. Ich tat, als sei ich vom Arbeiten außer Puste, und hievte zwei Ballen auf die Karre – sie packte noch einen darauf: erstaunlich, wie kräftig sie war.

Entschuldige die Störung, preßte ich schließlich heraus und wollte verduften. Drei nur? fragte sie und grinste mitleidig: Horst nimmt immer vier.

Der Klang ihre Stimme betäubte mich wie ein Narkotikum. Hypnotisiert wuchtete ich noch einen Strohballen hinauf, und ihr Gesichtsausdruck sagte: das schaffst du nie. Wetten doch, und hauruck, hob ich die Griffe an.

Torkelnd lugte ich um den Strohturm und setzte mich in Bewegung, mit einem Gefühl, als würden mir die Arme ausgerissen. Doch ich gab nicht auf, stemmte mich mit aller Kraft gegen die Karre, knurrte die Bälger aus dem Weg, durchtaumelte den Hof und erreichte das rettende Stalltor.

Keine Sekunde länger hätte ich es ausgehalten. Die Griffe rutschen aus meinen brennenden Händen. An den Ballen bildeten sich Blasen. Ich lächelte schnaufend zu Inge herüber, die anerkennend zurücknickte, und war schon ganz versessen darauf, die Scheune erneut anzufahren. Ich überlegte, wie ich das Mädchen ansprechen könnte, und stellte mir vor, wie es sich behaglich im Heu ausstreckte – hoffentlich nicht mit einem dieser schon ziemlich entwickelten Jungen, dachte ich eifersüchtig und übersah die Prügelei, die Detlef sich mit einem großmäuligen Giftzwerg lieferte: sollte Horst sich doch drum kümmern.

 

 

Wie heißt die eigentlich? fragte ich scheinbar nebenbei und deutete mit dem Besenstiel auf die Blonde, die nicht, wie Horst angeordnet hatte, die Wege fegte, sondern mit anderen Mädchen Fangen spielte. Inge nahm das nicht so eng und machte die Arbeit lieber selbst, als sich die Lunge aus dem Hals zu schreien.

Petra, erwiderte sie und schwang die Gabel voll Mist, den ich ihr auf die Zinken gekehrt hatte, auf die Schubkarre: Warum?- Nur so, sagte ich und schob ihr einen neuen Haufen auf die Forke, ehe ich mich umdrehte und meinen Rücken ächzend durchdrückte. Hatte sie mitgekriegt, daß ich rot geworden war? Ich fragte nicht weiter, weil ich fürchtete, sie könnte mißtrauisch werden. Es knackte in meiner Wirbelsäule, und ich tat so, als hätte ich mich verrenkt. Mit verzerrtem Gesicht rollte ich meine Schultern. Inge kam herbei und massierte meinen Rücken.

Ah, sagte ich genießerisch und lächelte sie über der Achsel hinweg an. Sie lächelte nicht zurück – also hatte sie es doch bemerkt. Ob ich noch Schmerzen hätte. Ich nickte, obwohl es nicht stimmte, und sie machte weiter, walkte mich aber ziemlich ruppig, so daß es jetzt wirklich weh tat: geschah mir recht. Trotzdem ließ ich Petra nicht aus den Augen – die uns übrigens auch nicht.

Au! rief das Mädchen plötzlich und kam seltsam verbogen herbeigehumpelt. Sie habe sich auch was verknackst, hier. Sie zeigte unbestimmt in ihr Kreuz und stellte sich vor mir auf. Ich begriff erst nicht, und als dann doch der Groschen bei mir fiel, hatte Inge mich schon zur Seite geschoben und begann, Petra den Rücken zu streicheln, sanft, fast zärtlich, wie um mir zu demonstrieren, daß sie es auch anders konnte.

Ich wollte gerade ebenfalls meine Hände auf Inges Schulterblätter legen, als Detlef sich zwischen uns drängelte und mich aufforderte, ihn auch zu massieren. Mit verdrehten Augen knetete ich seinen Speckbuckel und war froh, als Inge erklärte, wir müßten uns beeilen, wenn heute noch geritten werden sollte. Da schnappte sich jeder einen Besen oder eine Forke, und wir legten uns ins Zeug.

 

 

Da es doppelt so viele Kinder wie Pferde gab, teilte Horst sie auf: je ein großes und erfahrenes mußte sich mit einem kleinen und unerfahrenen ein Tier teilen – Detlef und Petra bekamen eins zugewiesen. Sie zog eine Flunsch, doch ich freute mich und verweigerte dem Dicken ein Hanuta. Da bettelte auch sie darum, und also gab ich beiden eins. Ich kam mir bald vor wie bei der Fütterung im Zoo und schob ihnen Plätzchen und Kekse in die ständig aufgesperrten Münder, bis Horst um Aufmerksamkeit brüllte.

Er erläuterte, wie die Tiere zu pflegen seien, ließ seine Gerte vor Detlef durch die Luft zischen und wollte von ihm wissen, was er gerade gesagt hatte. Der Junge verzog weinerlich sein schokoladeverschmiertes Gesicht, und es krümelte aus seinem vollgestopften Mund. Ich fühlte mich mitschuldig, als Horst mich ebenfalls strafend ansah, und senkte den Blick.

Geritten werde nur mit Reithelm, den sie sich für fünfzig Cent bei Inge ausleihen könnten, erklärte er, und ich drückte Detlef einen Euro in die Hand. Er könne damit für seine Freundin ja auch einen borgen, sagte ich, doch er zeigte mir einen Vogel. Petra stellte klar, der sei nicht ihr Freund, und außerdem habe sie einen eigenen Helm. Sie zog ihn aus ihrer Sporttasche, stülpte ihn sich über das Blondhaar, und es stach leuchtend vom schwarzen Samt ab: toller Anblick, erst recht, als sie auch noch die Turnschuhe mit glänzenden Reitstiefeln getauscht hatte.

Detlef wirkte dagegen ungeschlacht und brockig. Wegen seines Gewichts hatte er das größte und stärkste Pferd bekommen, ein schlankes Doppelpony, das neben den anderen plumpen und stoischen Gäulen Rasse zu haben schien. Es tänzelte nervös auf der Stelle, als Petra ihm unerschrocken die Hufe anhob und sie auskratzte, während er ängstlich sein Fell striegelte. Vor jedem Ausschlagen des Schweifes zuckte er zurück, fing aber an zu kichern, als der Hengst sein Gemächt ausfuhr.

Blödmann! rief Petra, rieb das Tier an den intimen Stellen mit einem feuchten Schwamm ab, und ich lehnte mich mit einem blümeranten Gefühl ans Gatter. Inge stand plötzlich hinter mir und fragte, ob sie mich mal herumführen und mir alles zeigen solle. Gern, erwiderte ich, fügte aber mit einer Kopfbewegung zu Detlef hinzu, wenn ich jetzt verschwände, wo er doch das erste Mal reite, würde er mir das niemals verzeihen. Na, dann halt ein andermal, sagte sie und entfernte sich, während ich mich einen Trottel schimpfte.

Horst stand jetzt ganz im Mittelpunkt. Er brüllte seine Befehle heraus, scheinbar um den Lärm von der nahen Autobahn zu übertönen. Doch ich hatte den Verdacht, ihm mache das Kommandieren insgeheim Spaß.

Petra kämmte die Mähne des Pferdes, und ich spürte ein Kribbeln auf der Kopfhaut. Wirklich hübsch! rief ich ihr zu, und sie tätschelte stolz seinen Hals – dabei hatte ich doch sie gemeint.

 

 

Horst hielt Detlef die ineinander verschränkten Hände als Steigbügel hin und half ihm mit so viel Schwung hinauf, daß er auf der anderen Seite wieder herunterrutschte und unter allgemeinem Gelächter im Sand landete. Beim zweiten Versuch klappte es mit Ach und Krach. Horst balancierte den Jungen wie einen kippelnden Mehlsack auf dem Rücken des unruhigen Pferdes, wischte sich den Schweiß von der Stirn und knuffte ihn, damit er sich aufrichtete. Er solle die Beine an den Pferdeleib drücken und die Zügel nicht wie Halteschlaufen umklammern. Der Dicke gehorchte und wabbelte wie ein Pudding, als sich sein Pferd, geführt von Petra, mit den anderen in Bewegung setzte.

Es ging am Schweineschlammfeld vorbei, hinaus in die offene Landschaft. Ich blieb neben Petra, angeblich um ihr zu helfen, falls der Reiter herunterrutschte, und lobte, da mir nichts besseres einfiel, ihre Reitstiefel – als Detlef mir zurief, ich sei für ihn da und solle mal ein Milky Way rüberwachsen lassen. Ich beachtete ihn gar nicht, sondern versuchte herauszufinden, ob Petras Augen grün oder blau waren.

Detlef beugte sich vor und schlug nach mir. Dabei verlor er das Gleichgewicht und stürzte schreiend zu Boden. Er brachte sich vor den Hufen in Sicherheit und trat nach mir, als ich ihm aufhelfen wollte. Horst kam herbeigelaufen und war wütend. Detlef brach in ängstliches Wimmern aus und gab mir die Schuld. Petra verteidigte mich, und Horst schrie die beiden nieder. Er befahl Detlef wieder hinauf, und diesmal mußte ich ihm als Steigbügel dienen, da der Junge in Pferdedung getreten war. Ich wischte mir die Hände am Fell ab, und Detlef schnauzte, ich solle das Pferd in Ruhe lassen. Halt die Klappe, sagte ich gereizt. Ich bedankte mich bei Petra und riet jetzt laut: Grün, nein, blau – oder doch grün?- Was?- Deine Augen.

Grüne Augen Froschnatur, von der Liebe keine Spur! rief Detlef hämisch herunter. Petra konterte: Braune Augen sind gefährlich, aber in der Liebe ehrlich.- Meine Augen sind nicht braun.- Aber seine, sagte sie und zeigte auf mich.

Kannst du das? fragte ich, riß einen Grashalm ab, klemmt ihn zwischen Daumen und Maus beider Hände, führte sie an den Mund, blies in den länglichen Zwischenraum mit dem eingespannten Halm, der einen gequälten Laut von sich gab: hörte sich an wie die Klagerufe eines verletzten Vogels im hohen Gras. Tatsächlich schauten die Kinder sich um. Einige verließen sogar die Pferde, die sie führen sollten, und suchten nach ihm. Horst brüllte sie zurück, und Petra wollte unbedingt wissen, wie ich das machte. Ich legte ihr einen Halm zwischen die Daumen, drückte sie gegeneinander und befahl: Pusten!

Sau! rief Detlef ihr zu, als ein lautes Furzgeräusch erklang, und sie lachte sich die reizendsten Grübchen in die Wangen, für die ich jetzt nur noch Augen hatte.

Hilfe! rief Detlef. Ich fuhr herum und sah, wie er auf dem durchgehenden Pferd ins Feld preschte, mit ruckenden Ellbogen, die wie gestutzte Flügel auf- und niedergingen. Bald blieb das Pferd ohne Reiter, der heruntergestürzt war, im hüfthohen Korn stehen und rupfte seelenruhig daran. Wellenbewegungen neben ihm: das Strampeln des Jungen.

Besorgt lief ich herbei und half ihm auf die Beine. Zum Glück war ihm nichts passiert, obwohl er heulte und mich beschimpfte. Zurück auf dem Weg, hörte er schlagartig mit dem Flennen auf und wollte wieder aufs Pferd. Nichts da: Horst gab das Kommando zum Reiterwechsel. Er mußte noch ein paar Brüller loslassen, ehe alle reitenden Kinder abgestiegen waren und die anderen aufsteigen ließen. Auch Detlef mußte erst von dem Doppelpony weggezerrt werden.

Petra schwang sich elegant auf das sattellose Pferd und schien gleich mit ihm zu verschmelzen. Sie lenkte es mit sachtem Schenkeldruck und hielt die Zügel locker in den Händen. Das Kreuz drückte sie durch, aber nicht steif, sondern federnd, in einer fließenden Bewegung mit dem wiehernden Tier, das, befreit von dem Brocken, wie beflügelt zu tänzeln begann: Zentaur und Pegasos in einem. Ja, etwas Mythisches rührte mich an, als würde das zweieinige Fabelwesen gleich abheben – zusammengewachsen an der Stelle, wo das Mädchen rhythmisch vor- und zurückschwang: Orgelpunkt all meiner Sinne.

 

 

Zurück im Stall, wollte Detlef das Pferd allein versorgen. Also sah ich mich um. In Wirklichkeit suchte ich nach Petra. Ich fand sie beim Tischtennisspielen. Der Ball tanzte wie ein Jo-jo auf dem Schläger des Mädchens: pokpok – und tack! schmetterte er auf die Platte, schoß auf den Gegenspieler zu, der reflexartig den Schläger hochriß. Er prallte ab: ein Querschläger, und der Junge gab auf.

Ich mußte einspringen und konzentrierte mich auf ihre Schmetterbälle, von denen ich nur die wenigsten leidlich parieren konnte. Natürlich verlor ich haushoch. Sie glühte vor Eifer und tanzte, hinter der Platte bis zu den Hüften sichtbar, wild herum. Bei ihren Vorwärts- und Rückwärtssprüngen dachte ich wieder an den Pferderücken, mit dem sie wie verwachsen gewesen war, und spielte noch schlechter. Da verlor sie die Lust, schmiß ihren Schläger auf die Platte und warf ihr blondes Haar zurück. Ich spürte, daß ich etwas Kostbares verlor, wenn mir nicht sofort etwas einfiel.

Hast du ein Versteck in der Scheune? fragte ich, als sie sich schon umgedreht hatte.- Willste mal sehen?- Ich zuckte die Achseln.- Komm! rief sie und rannte los.

Wohin so eilig? fragte Inge draußen auf dem Hof.- Will ihm mein Refugium zeigen.- Ich glaube, der junge Mann schnappt sich jetzt besser seinen Schutzbefohlenen und bringt ihn nach Hause, sagte Inge in einem Tonfall, der mir die Röte ins Gesicht trieb: ich spürte, wie es plötzlich brannte, und sah keine Möglichkeit, mich zu verteidigen.

Vielleicht das nächste Mal, murmelte ich zu Petra.- Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß dies ein Ponyhof für Kinder ist, erklärte Inge: Die Eltern bringen ihre Kinder hierher, verschwinden und holen sie dann wieder ab – da kommen übrigens deine.

Tatsächlich fuhr ein silbergrauer Mercedes holpernd über die Schlaglöcher, und Petra lief ihm mit einem Freudenschrei entgegen.

Detlef ist hier jederzeit willkommen, sagte Inge zu mir.- Verstehe, erwiderte ich und machte mich auf die Suche nach ihm. Ich fühlte mich zutiefst gedemütigt und war außerstande, mich gegen den Jungen durchzusetzen, der nicht daran dachte, sich von den Pferden zu trennen. Ohne Horst, der den Laden dichtmachen wollte, hätte ich ihn nie aus dem Stall gekriegt.

Kommen wir morgen wieder? fragte Detlef bittend, als wir an den Schweinen vorbeikamen – sie erinnerten mich fatal an ihn.- Ey, ich hab dich was gefragt!- Ja, sagte ich hastig, entschlossen, hier niemals wieder aufzukreuzen, und lächelte plötzlich: ich hatte Petra vor Augen, sah sie reiten und reiten im strahlenden Licht.


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