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In der Falle

Der Fluß, ein glatter Spiegel, der rechts und links die Kronen der Bäume reflektiert, die haushoch die Ufer säumen, und in der Mitte der grelle Himmel, eine blanke Bahn, über die wir plötzlich dahinsausen, mit einem sägenden Motorgeräusch – mir wird klar: ich befinde mich auf einem Boot.

Wir fahren schwindelerregend schnell. Hinter uns die zwei klaffenden Wellenbewegungen, als schlitzten Kiel und Motorschraube die zurückgestrahlte Himmelsfläche auf und schleuderten beide Hälften an ihre jeweiligen Ufer, wo sie sich aufschwappend brechen.

Plötzlich verstummt die fräsende Motorsäge, und es ist nur noch ein Plätschern zu hören. In der äußersten Bugspitze sitzt ein Mann mit Schirmmütze und paddelt mit Stößen links und rechts. Die Wasseroberfläche wirft jetzt nur noch schwache Wellen und ist etwas weiter entfernt wieder spiegelglatt: gleißendes Quecksilber, metallisch grün gerahmt.

Der Mann am Motor im Heck wirft den Anker, und die beiden Männer in der Mitte beugen sich vor. Jetzt erst werde ich aufmerksam auf das zappelnde Bündel zu ihren Füßen: ein nacktes Kind? Es quiekt, als einer es anhebt, und ich erkenne, daß es ein lebendes Ferkel in einem Netz ist, gefesselt an Vorder- und Hinterläufen: es kann sich nur durch Kontrakturen des ganzen Leibes gegen seine Gefangenschaft wehren. Das aber scheint die Lust der Männer noch zu stacheln, die grinsend sein Zucken verfolgen, mit, wie mir scheint, einem gierigen Glitzern in den Augen, das aber möglicherweise von den grellen Wasserreflexen herrührt.

Der jüngere Mann läßt das Netz mit dem strampelnden Inhalt an einem Seil ins Wasser. Außer Luftblasen und kreisförmige Wellenbewegungen gibt es kein Lebenszeichen von dem Tier, das im Begriff ist, zu ertrinken. Doch bevor es ganz still wird, zieht der Mann es wieder über den Wasserspiegel hinauf, wo es sich prustend und spritzend im Netz hin- und herwirft, schließlich erlahmt und dann erschöpft stillhält.

Seltsame Dschungelstimmen, Schreie, die sowohl von Vögeln als auch von Affen herrühren können, und dazwischen ein verhaltenes Quieken, als weine und winsele das sich erneut regende Ferkel um Gnade.

Der ältere Mann in der Bootsmitte, ein Dicker mit rundem Strohhut, erhebt sich vorsichtig von seinem Sitz und beugt sich mit einem Stock über die Bootskante, wirbelt damit das Wasser auf, und der Jüngere ohne Hut taucht das Netz mit dem wieder verzweifelt zappelnden Ferkel hinein, aber nicht ganz: dippt es nur mit dem Rücken in den Fluß, wahrscheinlich, um zu verhindern, daß es vorzeitig ertrinkt – vorzeitig vor was?

Der Ältere schäumt das Wasser immer heftiger auf, zückt plötzlich ein Messer, und ich glaube schon, er wolle das Ferkel aus dem Netz befreien. Doch er versetzt dem Tier stattdessen einen Stich in den Rücken, so daß es sich aufquiekend mit dem ganzen Leib in die Höhe wirft, immer wieder, während Blut aus dem Schnitt ins Wasser tropft, in dem der Mann aufs neue mit dem Stock herumwirbelt, und der andere hält das im Netz eingekrümmt auf dem Rücken liegende Tier nun so weit ins Wasser, daß es seine Wunde bedeckt: als solle sie ausgespült werden.

Ich weiß nicht wie, aber als hätte ich mich weit mit dem Oberkörper ins Wasser hinabgebeugt, kann ich plötzlich unter den stählernen Bootsboden blicken – und ich sehe sie kommen, wimmelnd, in ihrer Lautlosigkeit umso bedrohlicher: eine Stille, durch die schwach das Plätschern des rührenden Stockes und das Quieken des Ferkels dringt. Hastig fahre ich hinauf, und die Wasserfläche beginnt vor meinen Augen zu brodeln, als koche sie.

Der junge Mann taucht das Ferkel halb hinein, als wolle er es bei lebendigem Leib sieden, und es stößt auch schrille Schmerzensschreie aus, während sich das Wasser um es herum rot färbt, als würde es plötzlich heftig aus der Rückenwunde bluten – nein, neue Wunden werden ihm gerissen: es wird vor meinen Blicken regelrecht zerfleischt, nicht etwa von kochendem Wasser verbrüht, sondern verhackstückt von den unzähligen Fischen, die ich vorhin heranschwimmen gesehen habe und die das Wasser jetzt aufpeitschen, in das der junge Mann das aufgerissene, noch lebende Tier alsbald gänzlich hineinsenkt, so daß ich von seiner Qual nur noch brodelnde, rotschäumende Gischt wahrnehme.

In Sekundenschnelle ist dieser Spuk vorbei und der Wasserspiegel wieder so glatt und still wie zuvor. Der junge Mann zieht das Netz wieder heraus: es ist bis auf ein paar lose Schnüre nicht mehr vorhanden; auch das Ferkel fehlt. Jetzt hängt nur noch sein blitzblank abgenagtes Skelett an dem Strick, an dem die Vorderpfoten festgebunden sind, an denen das Gerippe nun schlackert, als würde es sich immer noch vor Schmerzen winden – es ist aber nur der junge Mann, der sich einen Scherz daraus macht, es wie eine Marionette zu schütteln.

Sie lachen, ziehen die Brauen hoch und schnalzen mit den Zungen. Direkt neben dem rechten Bord liegt das Spiegelbild der Sonne wie ein grellstrahlender Scheinwerfer auf der Wasseroberfläche und blendet mich so sehr, daß ich für Momente blind, vielleicht auch ohnmächtig werde. Als ich wieder sehen kann, ist vom Ferkel jede Spur verschwunden. Dafür hält der jüngere Mann jetzt einen dieser rotbäuchigen, handgroßen Fische mit der Rechten am Schwanz fest und drückt mit dem Daumen und den Fingern der Linken an beiden Seiten entlang, von hinten nach vorn, kräftig, als wolle er ihm die Innereien zerquetschen.

Direkt hinter dem Kopf, in den Kiemen, fixiert er ihn mit der linken Fingerzange, während er ihn mit der anderen Hand straff an der Schwanzflosse streckt. Der ältere Mann mit dem Strohhut führt vorsichtig die Klinge des Schweizer Taschenmessers, womit er vorhin das Ferkel angestochen hat, zum Maul des Fisches. Ich zoome es mit der Kamera, die ich plötzlich in den Händen halte, in Großaufnahme heran. Mit der Messerschneide drückt der Ältere die Unterlippe des schnappenden Fisches herunter, den der Jüngere nun mit aller Kraft halten muß, soll er ihm nicht aus den Händen glitschen: so peitscht das Tier nun mit dem ganzen Leib, viel vehementer als vorhin das Ferkel, und sein Raubtiergebiß, das an einen Minihai erinnert, schlägt auf und zu, erstarrt dann in einer Art Maulsperre.

Der Ältere legt die flache Klinge zwischen die gebleckten Zahnreihen, und mit Wucht beißt der Fisch so kräftig zu, daß, wäre es der kleine Finger des Mannes gewesen, dieser mit Sicherheit abgetrennt worden wäre. Alle im Boot stoßen ein überraschtes „Oh!“ aus, und der ganze Glitschleib, ein einziger auf dieses Gebiß ausgerichteter Muskel, verkrampft sich beim erneuten Zuschnappen und ist zugleich ein Resonanzkörper, der die Bißlaute abstoßend verstärkt.

Schließlich läßt der Jüngere den Fisch, den er immer noch festhält, zurück ins Wasser, vorsichtig, mit dem Kopf zuerst, und er zieht blitzschnell die Hände zurück, während der Fisch herausspringt, ihn verfehlt und ins Wasser zurückklatscht.

Allmählich dämmert mir, daß diese ganze Demonstration für mich inszeniert worden ist – weshalb? Wieder das gierige Glitzern in den Augen der Männer, diesmal mit Sicherheit keine Lichtreflexe. Sie rutschen auf mich zu, und es ist, als würde ich sie alle zugleich mit der Kamera heranzoomen. Plötzlich sehe ich mich zappelnd in ihrem Netz von den Mörderfischen zerfetzt, und ich halte meine Kamera wie eine Waffe gegen meine Brust gepreßt, bereit, jeden, der mir zu nahe kommt, damit über Bord zu schlagen – doch die Männer grinsen nur.

Mir bleibt noch, ins Wasser zu springen und so schnell wie möglich an Land zu schwimmen, bevor die Fische, auf mich aufmerksam geworden, hinter mir herjagen. Aber das ist unmöglich: schon meinen dritten Schwimmzug, wie ich plötzlich todsicher weiß, führte ich bloß noch als säuberlich abgenagtes Gerippe aus. Also kann ich nur aus diesem Alptraum erwachen: schnell, ehe ich mich mit Fleischwunden in meinem Bett wiederfinde. Aber verflucht: ich kriege die Augen nicht auf – ist dies etwa kein Traum?


http://de.youtube.com/watch?v=I5NGAUqLUpU


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