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Wie ich hierher gelangte

Ich jobbte als Apothekenfahrer und steckte in meinem Minitransporter mitten im Verkehrsstau zur Rush-hour fest, als sich im allgemeinen Stop-and-go nach und nach riesige Wohnmobile um mich herum versammelten: direkt vor mir schob sich einer in die Lücke, rechts und links holte jeweils einer auf gleiche Höhe zu mir auf, und hinter mir schnitt einer meinen Nachfolger ab, so daß ich nun von allen Seiten von diesen hohen Kastenwagen, die mir die Sicht nahmen, umgeben war. Anfangs erschien es mir merkwürdig, doch es beunruhigte mich nicht weiter. Ich glaubte, in eine größere Campingwagenkolonne geraten zu sein und ärgerte mich über die rücksichtslosen Vordrängler: sie konnten mit diesem riskanten Manöver doch kaum einige Sekunden Zeit und nur wenige Meter Vorsprung gewinnen.

Da irritierte mich ein dreckiges Lachen. Es kam von meinem rechten Nebenmann, der das Seitenfenster heruntergekurbelt hatte und von oben auf mich herabsah, ein unrasierter Typ mit roter Baseballkappe. Jetzt waren alle drei Spuren vor mir mit Riesendingern blockiert. Ich versuchte diagonal vorzustoßen und mich in die Gasse zu zwängen, um mich zwischen den Wohnmobilen hindurch aus ihrer Umklammerung zu befreien, selbst auf die Gefahr hin, an den Seiten Kratzer abzukriegen. Aber sowie ich vorschoß, rückten die beiden Wagen vor mir so weit zusammen, daß sie mir den Durchgang versperrten und nun dicht nebeneinander herfuhren: bei jeder Kurve drohten sie miteinander zu kollidieren.

Plötzlich steckten wir nicht mehr in einem Stau, waren auch von keiner Blechlawine umgeben, sondern befanden uns allein auf einer Rennpiste, veranstalteten eine Rallye und rasten in mörderischer Geschwindigkeit über die Fahrbahn, wobei nicht ich das Tempo vorgab, sondern die nach wie vor um mich herum versammelten Fahrzeuge: sie hetzten mich jetzt noch dreister – bums, krachte das hintere in mein Heck, und ich trat erschrocken aufs Gaspedal, versuchte zwischen den zwei vorderen zu entkommen, die mir aber erneut den Weg abschnitten. Wieder dieses schadenfrohe Gelächter, diesmal im ohrenbetäubenden Dolby Surround, ein kreischendes Gemecker, das mich ganz kopflos machte.

Wie war ich bloß hierher geraten, eingekesselt in diesem Irrsinn, dem ich nicht entrinnen konnte? Denn jeder Ausbruchversuch wurde sofort vereitelt. Es war ein einziger Horrortrip, ein Alptraum, aus dem es kein Erwachen gab, höchstens ein Entkommen in den Tod. Doch Unsinn! Mein Widerstand steigerte sich in wütende Empörung, und ich wollte kämpfen. Mir blieb ja außer Kapitulation und Vernichtung keine andere Wahl.

Wir bogen in eine Kurve. Da sah ich uns alle in der Totalen von vorne, als säße ich mit einer Videokamera im vorderen Wagen und filmte diesen Wahnsinn aus dem Heckfenster. Links und rechts von mir kippten die hohen Kastenwagen gefährlich nach links, das heißt, ihr Gewicht verlagerte sich auf die linken Räder, die so weit eingedrückt wurden, daß die Unterkanten der Karosserien knapp über dem Asphalt wippten, ihn manchmal funkensprühend streiften, während mein Minitransporter weniger durch den Gleichgewichtsverlust bedroht war, als vielmehr durch die beiden monströsen Nachbarn, zumal sie nun auch noch in einem spitzen Winkel aufeinander zurückten und mich dabei zerquetscht hätten, wäre ich nicht in die Eisen gestiegen – rums, wurde ich von hinten gerammt.

Filmschnitt. Ich sah wieder durch meine eigene Windschutzscheibe und hörte Schleif- und Schürfgeräusche um mich her: als sollte ich in voller Fahrt zusammengedrückt werden, und ich dachte an die ausrangierten Autos auf dem Schrottplatz, wie sie zu massiven Würfeln zusammengepreßt wurden. Bei dieser Vorstellung warf ich mich klaustrophobisch mit dem Lenkrad nach rechts und nach links und verschaffte mir auch prompt einigen Raum: respektvoll wichen die Kolosse vor meinem wild hin- und herkrachenden Gefährt zurück und hatten jetzt wüste Dellen in den Flanken, da, wo ich sie attackiert hatte. Also auch sie waren verletzbar, und ich setzte zu einem Verzweiflungssprung an, entwischte mit einem gewaltigen Crashgeräusch durch die zu enge Gasse vor mir, gab meinem Minitransporter die Sporen und trat ihm so brutal in die Bodenfront, daß mir war, als stampfte ich ihm das Pedal zwischen die Vorderreifen: Yippi – ich glaubte mich schon gerettet.

Die Pötte drehten auf mit einem Dröhnen, als hätten sie frisierte Schwerlastermotoren, und setzten mir mit ungeheurem Getöse nach: so mußte sich ein Dschungelmensch fühlen, der vor einer Elefantenstampede auszureißen versucht. Es war sinnlos: sie quetschten mich wieder in ihre Mitte, diesmal mit wirklich mörderischer Absicht – das war kein Katz-und-Maus-Spiel mehr, sondern unbedingter Zerstörungswille. Der Typ über mir im runtergekurbelten Seitenfenster war nicht der mit der Kappe, sondern einer in Kampfanzug, Lederhandschuhen und mit einem martialischen, utopisch wirkenden Kopfschutz mit Antennen, Kopfhörerwülsten, seitlichem Mikrofon und heruntergeklapptem Visier aus hieb- und kugelsicherem Plastik – das war kein Mensch mehr, sondern ein außer Kontrolle geratener Killerroboter, den um Gnade zu bitten lächerlich gewesen wäre. Es war auch gar nicht möglich den Krach und sein schallendes Haha! mit meinem Heulen zu durchdringen.

Durch die Erschütterungen hatte sich die Verankerung meines Dachgepäckträgers gelockert, der jetzt heruntergeschleudert wurde und meinem Hintermann in die Windschutzscheibe knallte, die sich gleich milchig eintrübte vor lauter winzigen Sprüngen, so daß dem Fahrer für Momente die Sicht genommen war, bis das Glas wegplatzte, ihn eindeckte mit einem Hagelschauer, der meinem Nebenmann mit dem Helm nichts ausgemacht hätte – doch es war der Kerl mit der Baseballkappe, und so kriegte er die ganze Wucht des Splitterhagels ab, der ihm ins ungeschützte Gesicht detonierte, es zu einem Blutbrei verhackstückte, ehe der Wagen zurückfiel und in Schlängellinien weiterrollte, gegen die Leitplanke. Ein Feuerbusch stieg hinter der Biegung auf, die wir soeben genommen hatten, und mir war trotz des Höllenlärms zumute, als befände ich mich im Zentrum der Stille, gleichsam im Auge des Taifuns.

Jetzt ging es erst richtig los. Sie jagten mich wie Löwen eine Gazelle, schnürten mich ein, schlidderten mit mir in die Kurven, während wir uns ineinander verkeilten und die Riesen mich Winzling zusammenzuklumpen suchten, unter Brüllen, Quietschen und Ratschen an den Planken entlang. Doch mein Minitransporter war erstaunlich stabil, erwies sich als widerstandsfähiger als die großen Blechhaufen, die in ihren hohen Aufbauten erdröhnten und wankten, während mein Auto zwar mit Blessuren übersät wurde, aber immer wieder kompakt und ungebrochen aus den Zusammenstößen hervorging, ein kampfbereiter Terrier, entschlossen, sich bis zum letzten Zucken zu wehren.

Gefährliches Kippen auf zwei Seitenräder, während die auf der anderen Seite im Leeren rotierten, und Zurückkrachen auf alle viere. Ein Wohnmobil, dessen Fahrer die Kontrolle verlor, scherte aus und holperte über das wellige Stoppelfeld in der Mitte der Rennstrecke, wobei die hintere Stoßstange abbrach und hinterher schleifte, ehe sie ganz abfiel. Dann stieß es jenseits der Fahrbahnschleife, die es abgekürzt hatte, wieder zu uns und wäre fast, von der Seite kommend, in unseren staubaufwirbelnden Haufen hineingebraust.

Da ging der Kasten, der mich gerade gerammt hatte, buchstäblich in die Brüche. Sein Aufbau riß wie die Seiten eines umgestülpten Kartons an den Knickkanten auf und platzte unter der Wucht heftiger Schläge auseinander. Er schwankte noch auf der Grundplatte des Fahrgestells: ein torkelndes Gehäuse, das nach rechts driftete, dann, beim Gegensteuern, nach links zurück, und der Schwung des wankenden Blechkastens nahm zu. Er brach in den Ecken ein, hing dann nur noch schief zur Seite, und bei der nächsten Kurve verlor der Boden sein Chassis wie eine Ladung: es wurde angehoben, dann plattgefaltet und kippte splitternd und klirrend weg, wehte jetzt wie eine Riesenfahne im Fahrtwind, hing nur noch am Cockpit, das plötzlich mit abriß, nach hinten flog und den Fahrer darunter freigab. Der bewegte sich hektisch, zappelte und wurde, als das Gehäuse ganz abbrach, mit auf die Straße geschleudert, wahrscheinlich durch den Sicherheitsgurt, der am Steg hinter dem Seitenfenster befestigt gewesen war und aus dem er sich nicht mehr hatte befreien können. Jetzt lag er stranguliert unter dem Trümmerhaufen, während das Fahrgestell weiterrollte, die Leitplanke durchbrach und dahinter den Abhang hinabstürzte. Schreckensschreie der anderen Fahrer, die über die auf der Fahrbahn wegschrammenden Blechteile fuhren und sie flachgewalzt zurückließen.

Der Zwischenfall stachelte sie nur noch mehr an. Sie setzten jetzt alles auf eine Karte. Einer geriet beim Kippen mit den erhobenen Rädern auf die Bordsteinkante, die so hoch war, daß er darauf mit vierzig Grat Neigung weiter fuhr und jeden Moment umschlagen mußte: nur die Fliehkraft in der Kurve bildete noch ein Gegengewicht dazu und hielt ihn auf den qualmenden Reifen – eine Riesenschleuder, die sich jetzt um sich selber drehte. Da prallte er gegen mich, fiel um und begrub mich unter sich, während der Typ in Kampfanzug und Helm eine Bratpfanne aus dem Fenster schwang und damit auf sein Dach hieb. Es erzeugte einen Klang, der mich an eine Totenglocke erinnerte.

Ich sah noch den pfanneschwingenden Mann in eine Massenkarambolage mit den anderen geraten. Er dengelte immer noch: es hörte sich an wie ein Läuten aus dem Jenseits – dann verlor ich das Bewußtsein, und das Bimmeln der Nikolai-Kirche begleitete mich in dieses Leben.


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